Tourismus: Wie ankernde Kreuzfahrtschiffe das antarktische Meer gefährden

Mehr als 100 000 Touristen besuchten nach Angaben des IUCN in der Saison 2022/23 die Antarktis – die weitaus meisten mit Schiffen unterschiedlicher Größe: von privaten Jachten bis hin zu großen Kreuzfahrtschiffen. Dazu kommen noch die Fischtrawler und Forschungskreuzer, die ebenfalls regelmäßig in die Gewässer des Südpolarmeers einfahren. Sobald sie ankern, hinterlassen sie deutliche und zerstörerische Spuren auf dem Meeresgrund, wie Matthew Mulrennan und sein Team von der gemeinnützigen Forschungs- und Meeresschutzorganisation KOLOSSAL dokumentieren konnten.
Während zahlreiche Vorgaben die fragile antarktische Natur schützen sollen, ist das Ankern weit gehend unreguliert. Dabei dringen die Schiffe teilweise in bislang völlig unberührte Gebiete vor, die lange von Meer- oder Schelfeis bedeckt waren, bevor sie eisfrei wurden. Wie Mulrennan und Co ermittelten, führen 2022/23 mindestens 195 Schiffe in Bereiche vor der antarktischen Küste, in denen sie hätten ankern können: Das Wasser ist dann normalerweise nicht tiefer als 80 Meter. Zudem werteten sie Unterwasseraufnahmen von 36 Standorten entlang der Antarktischen Halbinsel und vor South Georgia Island aus, die am häufigsten angesteuert werden.
Die Bilder zeigten regelmäßig gestörte Meeresboden und zerstörte Fauna – etwa zerschmetterte Schwammriffe –, wo Schiffe angelegt hatten. Oft lebten in diesen Bereichen auch überhaupt keine Tiere mehr. An einer Stelle hatten die Anker knapp drei riesige Vulkanschwämme verpasst, von denen angenommen wird, dass sie mit 15 000 Jahren zu den ältesten Organismen der Erde gehören könnten. Daneben leben zahlreiche Seesterne und andere Wirbellose auf Grund oder nutzen Fische und Kraken die Bereiche als Kinderstube.
Viele dieser Tiere leben lange, wachsen aber nur langsam und werden später geschlechtsreif. Sie sind daher besonders anfällig für Störungen. Schleifspuren auf sandigem Meeresboden lassen sich oft noch nach Jahren nachweisen. Negative Einflüsse könnten in der Antarktis daher lange nachwirken. »Ankern gehört wahrscheinlich zu den am häufigsten übersehenen Problemen beim Meeresschutz, mit Blick auf die Zerstörung des Meeresbodens. Es steht auf einer Stufe mit den Schäden durch die Grundschleppnetzfischerei«, sagte Mulrennan in einer Mitteilung. »Es ist ein dringendes Umweltproblem, aber es gilt ›aus den Augen, aus dem Sinn‹.«
Ohnehin hat Tourismus in der Antarktis zwei Gesichter: Er vermittelt den Menschen, wie bedroht die Natur durch den Klimawandel ist, aber gleichzeitig trägt er dazu bei. Die Abgase der Schiffsdiesel etwa verstärken die Schnee- und Eisschmelze, weil abgelagerter Ruß Oberflächen dunkler macht und dadurch erwärmt. Besucher können zudem Tier- und Pflanzenarten einschleppen, welche die lokalen Ökosysteme radikal überformen und gefährden.
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