Wenn das Universum würfelt: Quantencomputer erzeugt nachweislich echte Zufallszahlen

Sogar die schnellsten und modernsten Supercomputer können keine echten Zufallszahlen generieren. Solche Zahlen sind für viele Anwendungen unverzichtbar, etwa für sichere Verschlüsselungen von Daten. Doch jeder klassische Algorithmus folgt stets festgelegten Regeln. Das Ergebnis ist somit vollständig berechenbar, wenn man den Anfangszustand kennt. Ein Quantencomputer dagegen beruht auf den unvorhersagbaren Prozessen der Quantenmechanik. Er sollte deswegen prinzipiell Zahlen erzeugen können, die physikalisch nachweisbar auch wirklich zufällig sind. Genau das ist einem US-amerikanischen Forschungsteam nun auf einem 56-Qubit-Chip des Unternehmens Quantinuum gelungen – das berichten die Fachleute im Fachmagazin »Nature«. Der entscheidende Fortschritt ist: Sie konnten eindeutig belegen, dass die Zahlen zufällig und spontan erzeugt wurden. Damit legen sie ein Fundament für zukunftsweisende Verschlüsselungsmethoden, neue statistische Verfahren – und somit für erste kommerzielle Anwendungen von Quantencomputern.
Seit der Antike streiten Philosophen darüber, ob der Zufall wirklich existiert oder ob er nur ein Ausdruck unseres Nichtwissens ist. Der französische Mathematiker und Physiker Pierre-Simon Laplace etwa ging im 18. Jahrhundert davon aus, dass alles durch Ursache und Wirkung erklärbar ist. Wenn man nur alle Informationen über ein System hätte, könnte man sein Verhalten vollständig vorhersagen. Selbst chaotische Phänomene wie die Verwirbelungen in einem See sind – theoretisch – durch die Thermodynamik und Strömungsmechanik bestimmt.
In der zu Beginn des 20. Jahrhunderts formulierten Quantentheorie dagegen ist der Zufall nicht bloß ein Mangel an Wissen, sondern ein fundamentaler Bestandteil der Realität. Gemäß der so genannten Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik sind quantenphysikalische Vorgänge in der Natur prinzipiell unbestimmt, und sie lassen sich nur noch durch Wahrscheinlichkeiten beschreiben. So kann man unter keinen Umständen exakt vorhersagen, wann ein instabiler Atomkern zerfällt – nur, mit welcher Wahrscheinlichkeit das in einem gewissen Zeitraum passiert.
Bisherige Systeme sind langsam und schwer zu kontrollieren
Bislang werden echte Zufallszahlen erzeugt, indem man zufällige Schwankungen bei solchen natürlichen Prozessen misst, etwa statistisches Rauschen in elektronischen Schaltungen oder bei radioaktiven Zerfällen. Solche physikalischen Zufallszahlengeneratoren arbeiten aber oft relativ langsam und sind schwer zu kontrollieren. Echte Quantenzufallszahlengeneratoren dagegen könnten den steigenden Bedarf an solchen Zahlen in Zukunft effizienter befriedigen.
Das Forschungsteam, das sich aus Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen von JPMorganChase, Quantinuum, dem Argonne National Laboratory, dem Oak Ridge National Laboratory und der University of Texas zusammensetzt, nutzte für das Experiment ein Verfahren namens »random circuit sampling« (RCS). Das ist ein Prinzip, bei dem ein Quantencomputer eine willkürliche Abfolge von Quantenoperationen ausführt, um eine Vielzahl von Messergebnissen zu erzeugen. Am Ende wird der Quantenzustand gemessen. Dadurch entsteht eine Bitfolge. Die Ergebnisse folgen einer hochkomplexen Wahrscheinlichkeitsverteilung, die für klassische Computer extrem schwer nachzubilden ist. Die Herausforderung besteht insbesondere darin, bei einer erzeugten Zahlenfolge zu zertifizieren, dass sie auch wirklich zufällig ist.
Das für die Überprüfung genutzte Protokoll stammt von Scott Aaronson, einem Professor für Informatik an der University of Texas in Austin. Bereits 2018 entwickelte er die Idee für die Methode. »Als ich vor sieben Jahren erstmals mein Protokoll vorschlug, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich auf eine experimentelle Demonstration warten müsste«, sagte Aaronson laut einer Pressemitteilung seiner Universität. »Das Protokoll nun umzusetzen, ist ein erster Schritt, um Quantencomputer für die Erzeugung zertifizierter Zufallsbits zu nutzen und tatsächliche kryptografische Anwendungen zu ermöglichen.«
Das Protokoll basiert auf einer Kombination von Super- und Quantenrechner. Ein Supercomputer erzeugt eine Reihe von pseudozufälligen Aufgaben und sendet sie an einen Quantenserver. Der wird aufgefordert, innerhalb kurzer Zeit Bitfolgen der Länge n aus der Ausgangsverteilung dieser Schaltungen zurückzugeben. Die Schaltungen sind so gewählt, dass kein realistischer gegnerischer Server sie innerhalb der kurzen Antwortzeit klassisch simulieren kann. Damit ist die quantengenerierte Zufälligkeit des Ergebnisses bewiesen – nicht einmal ein anderer Quantencomputer könnte die Zufallszahlen derart manipulieren, dass dies nicht auffällt. Die Zertifizierung der Zufallszahlen kann also von einem ausreichend leistungsfähigen klassischen Computer durchgeführt werden.
»Das Experiment mit den Zufallszahlen ist ein entscheidender Meilenstein, der das Quantencomputing endgültig in den Bereich der praktischen, realen Anwendungen bringt«Rajeeb Hazra, CEO von Quantinuum
Der Quantenchip von Quantinuum, der die Bitfolgen generiert, nutzt als Recheneinheiten gefangene Ionen. Dazu werden geladene Atome mit elektrischen und magnetischen Feldern in einer Art unsichtbarem Käfig festgehalten, der Ionenfalle – so dass sie fast bewegungslos und perfekt kontrollierbar im Raum schweben. Die Ionen lassen sich mit Hilfe von Lasern sehr präzise manipulieren: Ein Laserstrahl verändert den inneren Zustand eines Ions und macht daraus ein Qubit, also ein Quanten-Bit. Anders als ein klassisches Bit, das nur den Wert 0 oder 1 annehmen kann, kann ein Qubit beides gleichzeitig sein – was den enormen Rechenvorteil bringt. Die Ionen können außerdem miteinander verschränkt werden, wodurch sie gemeinsam komplexe Quantenzustände bilden.
Der Informatiker und CEO von Quantinuum, Rajeeb Hazra, ist sich sicher, dass das Experiment mit den Zufallszahlen »ein entscheidender Meilenstein ist, der das Quantencomputing endgültig in den Bereich der praktischen, realen Anwendungen bringt«. Nichtdeterministische physikalische Prozesse, wie sie die Quantenmechanik hervorbringt, seien ideale Quellen für Zufallszahlen, die eine nahezu vollkommene Unvorhersehbarkeit bieten – und damit die moderne Kryptografie auf ein neues Niveau anheben.
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