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Mathematik: Neun der hartnäckigsten ungelösten mathematischen Rätsel

Neun Mathematikerinnen und Mathematiker enthüllen die faszinierendsten ungelösten Probleme ihres Fachs, die das Potenzial haben, die Welt der Zahlen zu revolutionieren.
Ein abstraktes Bild mit leuchtenden, weißen Zahlen, die in einem Wirbelmuster auf einem verschwommenen, bläulichen Hintergrund schweben. Die Zahlen scheinen in Bewegung zu sein und erzeugen einen dynamischen, fast hypnotischen Effekt. Die Darstellung vermittelt ein Gefühl von Unendlichkeit und Komplexität, das an mathematische oder digitale Konzepte erinnert.
Was ist Ihr liebstes mathematisches Problem?

Mathematiker und Mathematikerinnen vergleichen ihre Forschung manchmal mit einem Garten. Ungelöste Probleme sind darin wie Samen, die darauf warten zu keimen. Manche Probleme ähneln auch Tulpenzwiebeln: Sie stecken beharrlich unter der Erde, und man fragt sich, ob sie jemals ein Ergebnis hervorbringen werden. Wenn sie jedoch schließlich heranwachsen und zu blühen beginnen, erweckt ihre Pracht den ganzen Garten zum Leben.

Andere mathematische Rätsel sind wiederum mit Ästen vergleichbar. Die Bäume selbst – die Bereiche innerhalb der Mathematik – sind fest im Boden verwurzelt und ragen hoch hinauf, während sich die Äste verzweigen – und somit die mathematischen Gebiete erweitern. Die Lösung dieser Ast-Probleme lässt die Bäume immer höher wachsen.

Und schließlich sind gewisse offene Fragen wie Erde. Sie entsprechen den mathematischen Grundlagen, die scheinbar weit entfernte Pflanzen – mathematische Gebiete – miteinander verbinden und dazu beitragen, den ganzen Garten mit Nährstoffen zu versorgen.

Wir haben Mathematikerinnen und Mathematiker zu ihrem persönlichen Garten befragt: Welche offenen Fragen des Fachs interessieren sie im Moment am meisten, und welche Auswirkungen hätte die Lösung dieser Probleme?

Gibt es ungerade perfekte Zahlen?

Oliver Knill, Harvard University:
»Mein Lieblingsproblem ist auch gleichzeitig das älteste bekannte Problem der Mathematik: Gibt es ungerade perfekte Zahlen? Eine perfekte Zahl ist die Summe ihrer echten Teiler, zum Beispiel: 6 = 3 + 2 + 1 oder 28 = 14 + 7 + 4 + 2 + 1. Alle bekannten perfekten Zahlen sind gerade. Diese sind auch deshalb interessant, weil sie mit den größten bisher bekannten Primzahlen zusammenhängen.

Perfekte Zahlen | Das sind die ersten neun bekannten perfekten Zahlen.

Das Problem ist fesselnd, weil man nicht einmal eine bestimmte Erwartung hat. Ich persönlich glaube, dass es ungerade perfekte Zahlen gibt, dass sie aber sehr, sehr groß sind. Eine geschickte Suche könnte innerhalb der nächsten 100 Jahre vielleicht ein Beispiel dafür hervorbringen. Das Unterfangen ist nicht völlig aussichtslos. Es gibt Methoden, um große Mengen von Zahlen zu untersuchen«.

Wie gut lassen sich Zahlen zerlegen?

Katherine Stange, University of Colorado, Boulder:
»Angenommen, eine natürliche Zahl n ist ein Produkt aus zwei Primzahlen, p und q. Wenn ich Ihnen n nenne, können Sie daraus p und q ableiten? Wie sieht ein effizienter Algorithmus für diese ›Primfaktorzerlegung‹ aus? Mit ›effizient‹ ist gemeint, dass die Laufzeit des Algorithmus bloß geringfügig mit der Größe von n anwächst, beispielsweise linear oder quadratisch mit der Anzahl der Ziffern von n. Derzeit sind nur ineffiziente Algorithmen bekannt: Ihre Laufzeiten wachsen (fast) exponentiell mit der Größe von n an. In der Praxis lassen sich deshalb keine Zahlen mit vielen hundert Ziffern in ihre Primteiler zerlegen.

Aber ist das prinzipiell unmöglich? Oder fehlte bislang einfach die passende Idee? Das Problem der Primfaktorzerlegung hat diverse faszinierende Aspekte: Es lässt sich leicht formulieren und ist so alt wie die ganzen Zahlen selbst. Doch die Lösung scheint sehr schwierig zu sein – und würde eine solche gefunden, würde das die Welt auf den Kopf stellen. Denn zahlreiche der modernen Verschlüsselungen beruhen auf der angenommenen Schwierigkeit der Primfaktorzerlegung. Wenn ein Computer eine Verbindung zu einer sicheren Website herstellt, sendet oder empfängt das System geheime Informationen in verschlüsselter Form. Um sie zu enthüllen, muss man eine sehr große ganze Zahl faktorisieren – und noch weiß niemand, wie das geht (ohne Quantencomputer). Würde man jetzt einen effizienten Algorithmus finden, hätte dies wahrscheinlich verheerende Auswirkungen auf jeden Einzelnen von uns und auf die Weltwirtschaft. Wollen wir dieses Problem dann wirklich lösen?

Man kann in einer solchen Aufgabe nicht herumstochern, ohne Verbindungen zu vielen grundlegenden Aspekten der Zahlentheorie zu entdecken. Algorithmische Probleme haben etwas Eindeutiges an sich: Entweder man kann eine große Zahl faktorisieren oder man kann es nicht. Womöglich werden wir das Problem nie lösen, aber die Freude liegt in der Erforschung selbst.«

Wie viele Flächen hat ein vierdimensionales Polytop?

Margaret Bayer, University of Kansas:
»Ich liebe das Studium von Polyedern (dreidimensionale Formen mit ebenen Flächen). Ich bin dabei jedoch nicht so sehr an Fragen interessiert, die mit dem Volumen oder den Seitenflächen zu tun haben. Stattdessen beschäftige ich mich mit der Kombinatorik von Polyedern, also damit, wie die Eckpunkte, Kanten und Seitenflächen zusammenpassen. Sie haben eventuell schon von den platonischen Körpern gehört, jenen Polyedern, bei denen alle Flächen kongruente, regelmäßige Vielecke sind. An jedem ihrer Eckpunkte trifft die gleiche Anzahl von Flächen zusammen. Doch darüber hinaus gibt es noch deutlich interessantere Formen, die beispielsweise eine wichtige Rolle in Anwendungen wie der Optimierung und der Grafik spielen.

Platonische Körper | Die fünf symmetrischsten Polyeder sind (von links nach rechts): Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder.

Diese Anwendungen ergeben sich aus der Tatsache, dass sich dreidimensionale Polyeder als Lösungen von linearen Ungleichungen mit drei Variablen beschreiben lassen. Häufig haben Anwendungen allerdings mehr als drei Variablen. Wenn man beispielsweise mit vier Unbekannten arbeitet, dann entspricht die Lösung einem vierdimensionalen Polytop. Vielleicht haben Sie schon einmal vom Hyperwürfel gehört? Er wird manchmal als ein Würfel in einem Würfel mit entsprechenden, miteinander verbundenen Eckpunkten dargestellt. Vierdimensionale Polytope haben Punkte, Kanten, zweidimensionale Seitenflächen – und auch dreidimensionale Seiten, die ich Facetten nenne. Damit stellt sich die Frage: Wie viele Punkte, Kanten, Seitenflächen und Facetten kann ein vierdimensionales Polytop haben?

Hyperwürfel | Indem man ein einfaches Verfahren verallgemeinert, lässt sich ein vierdimensionaler Würfel in drei Dimensionen visualisieren. Vervielfältigt man eine Linie und fügt sie entsprechend zusammen, erhält man ein Quadrat. Ähnlich kann man Quadrate zu einem Würfel zusammensetzen. Wendet man die Transformationen auf Letzteren an, landet man beim Hyperwürfel. Dieser hat doppelt so viele Ecken wie die dreidimensionale Variante, und jede davon ist mit vier anderen verbunden.

Vor mehr als 100 Jahren lieferte der Mathematiker Ernst Steinitz eine Antwort für dreidimensionale Polyeder: Wenn v, e und s jeweils für die Anzahl der Ecken, Kanten und Seitenflächen eines Polyeders stehen, dann ist v – e + s = 2, zudem sind v und s jeweils mindestens 4 und es gilt 2e ≥ 3v sowie 2e ≥ 3s. Das Bemerkenswerte daran ist, dass sich mit drei beliebigen ganzen Zahlen, die diese Bedingungen erfüllen, stets ein Polyeder mit v Eckpunkten, e Kanten und s Seiten konstruieren lässt.

Angenommen, ein vierdimensionales Polytop hat v Eckpunkte, e Kanten, s zweidimensionale Seitenflächen und f Facetten. In diesem Fall gibt es auch Bedingungen, wie: v – e + s – f = 0 sowie v ≥ 5, f ≥ 5, 2e ≥ 4v, 2s ≥ 4f und einige andere. Doch wir kennen die vollständige Menge noch nicht. Ich kann eine Reihe von ganzen Zahlen angeben, die alle bekannten Bedingungen erfüllen und für die es trotzdem kein vierdimensionales Polytop gibt. Wir haben nicht einmal eine Vermutung, wie groß die vollständige Menge der Bedingungen ist. Alles, was wir wissen, ist, dass eine vollständige Menge auch einige nichtlineare Ungleichungen enthalten muss.

Eine andere schöne Sache, die diesen Zahlen innewohnt, ist eine gewisse Symmetrie. Hat man eine Liste von Zahlen v, e, s oder v, e, s, f, lässt sie sich umkehren – und man erhält die Zahlen für ein anderes Polyeder. Zum Beispiel hat das Dodekaeder v = 20, e = 30, s = 12 und das Ikosaeder hat umgekehrt v = 12, e = 30, s = 20. Der Hyperwürfel hat v = 16, e = 32, s = 24, f = 8. Ein anderes vierdimensionales Polytop, das Kreuzpolytop, hat analog v = 8, e = 24, s = 32, f = 16.

Die Frage, wie viele Flächen ein vierdimensionales Polytop haben kann, plagt mich seit Jahrzehnten.«

Das Schoenflies-Problem

Maggie Miller, University of Texas in Austin:
»Es ist erstaunlich, dass wir die Antwort auf die folgende Frage nicht kennen: Kann eine glatte Kugeloberfläche im Raum eine Kugel in sich einschließen? Dies ist als Schoenflies-Problem bekannt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Kugeloberfläche eine beliebige Dimension haben kann: In einer Dimension ist es zum Beispiel ein Kreis, in zwei Dimensionen die übliche Oberfläche einer dreidimensionalen Kugel.

Die Frage lässt sich abseits vierdimensionaler Räume bejahen. Für alle Dimensionen größer und kleiner als vier kann eine glatte Kugeloberfläche eine Kugel umgeben. Für glatte dreidimensionale Kugeloberflächen im vierdimensionalen Raum bleibt die Frage jedoch offen.

Kompakte Menge | Üblicherweise lassen sich kompakte Mengen stets in eine Kugel einfassen.

Ich finde es beunruhigend, dass eine solche Lücke in unserem Wissen klafft. Man könnte denken, dass die Antwort sicherlich auch in diesem Fall positiv ausfällt – warum sollte die vierte Dimension anders sein als alle anderen Dimensionen?

Allerdings unterscheidet sich die vierdimensionale Topologie tatsächlich oft von den Räumen anderer Dimensionen. So gibt es zum Beispiel unendlich viele verschiedene glatte vierdimensionale Objekte, die stetig (aber nicht glatt!) dem Standard-4-D-Raum entsprechen. Das ist in keiner anderen Dimension der Fall.

Ich wage die Vermutung, dass die Antwort auf das Schoenflies-Problem in der vierten Dimension Nein lautet – was sehr aufregend wäre.«

Eine jahrtausendealte Frage

Minhyong Kim, International Center for Mathematical Sciences:
»In der Schule lernen wir, dass die Lösungen einer quadratischen Gleichung, ax2 + bx + c = 0 durch die pq-Formel gegeben sind:

x1/2=p2±p24q

Unsere Fähigkeit, algebraische Gleichungen zu lösen oder auch nur zu verstehen, ist erstaunlich begrenzt, wenn wir über diesen bekannten Fall hinausgehen. Und das, obwohl die Untersuchungen solcher Gleichungen seit jeher in tief greifende mathematische Ideen gemündet haben. So führte etwa die Schwierigkeit, eine harmlos anmutende Gleichung wie x5 – x + 1 = 0 zu lösen, zur Gruppentheorie, die inzwischen ein wesentlicher Bestandteil der modernen theoretischen Physik ist.

Ich habe die meiste Zeit meiner Karriere damit verbracht, über algebraische Gleichungen mit einer weiteren Unbekannten nachzudenken, wie y2 = x5 – x + 1. Für eine solche Gleichung ist es beispielsweise extrem schwierig, alle rationalen Lösungen (also jene Paare x und y, die sich als Bruchzahlen schreiben lassen) für diese eine Gleichung zu finden. Das Hauptproblem in diesem Forschungsbereich betrifft jedoch nicht einzelne Gleichungen – oder gar eine ganze Klasse von Gleichungen. Stattdessen wird nach etwas gesucht, was an eine Aufgabe aus der Informatik erinnert.

Konstruieren Sie einen Computeralgorithmus, der eine beliebige Gleichung als Eingabe erhält und daraus alle rationalen Lösungen berechnet:
f(x,y) = 0 → DE-Algorithmus → {alle rationalen Lösungen von f(x,y) = 0}

DE ist hierbei die Abkürzung für die Diophantische Gleichung, benannt nach dem ägyptischen Gelehrten Diophantos von Alexandria, dessen Buch die Untersuchung solcher rationalen Lösungen populär machte. Die zentrale Herausforderung besteht demnach darin, einen solchen DE-Algorithmus zu konstruieren. Das mag einfach klingen, erweist sich aber als extrem schwierig.

Das Problem des DE-Algorithmus umfasst einen wichtigen Teil der Vermutung von Bryan John Birch und Peter Swinnerton-Dyer, eines von sieben Millennium-Problemen, für deren Lösung ein Preisgeld von einer Million US-Dollar ausgesetzt ist. Erstaunlicherweise konnte der Mathematiker Gerd Faltings in den 1980er Jahren beweisen, dass es für die meisten Gleichungen mit zwei Unbekannten nur endlich viele rationale Lösungen gibt. Seltsamerweise haben wir in den meisten Fällen keine Ahnung, wie wir diese endliche Menge finden können.

Das DE-Algorithmus-Problem gehört zu den ältesten bekannten mathematischen Herausforderungen, mit denen sich Menschen aus aller Welt seit Jahrtausenden beschäftigen. Daher ist es für mich erschreckend, wie wenig Fortschritte es bisher gab. Womöglich ist die menschliche Intelligenz dieser Aufgabe nicht gewachsen.«

Die Kummer-Vandiver-Vermutung

Mona Merling, University of Pennsylvania:
»Eines der ungelösten mathematischen Probleme, die mich faszinieren, ist die Kummer-Vandiver-Vermutung, die aus der Zahlentheorie stammt. Sie betrifft die Teilbarkeit von Klassenzahlen, die das Scheitern der eindeutigen Primfaktorzerlegung widerspiegelt.

Schon früh, wenn wir uns mit Zahlen beschäftigen, lernen wir, wie man sie in Bausteine zerlegt: in Primzahlen. Dabei stoßen wir auf die schöne Tatsache, dass die Primfaktorzerlegung für jede Zahl eindeutig ist. Zum Beispiel ist 18 = 2 · 3 · 3; und das ist die einzige Möglichkeit, sie als Produkt von Primzahlen aufzuschreiben.

Bei abstrakteren Zahlensystemen, zu denen unter anderem die imaginären Zahlen gehören, ist das anders. Wenn wir etwa die imaginäre Zahl √–5 in unser Zahlensystem aufnehmen, dann ist sowohl 6 = 2 · 3 als auch 6 = (1 + √–5) · (1 – √–5). Letzteres ist eine zweite Zerlegung in ›irreduzible‹ Faktoren – das heißt Faktoren, die sich in diesem Zahlensystem nicht weiter zerlegen lassen. Die Klassenzahl eines Zahlensystems bemisst das Scheitern der eindeutigen Primfaktorzerlegung. Eine Klassenzahl von eins bedeutet, dass die Primfaktorzerlegung eindeutig ist, während eine höhere Klassenzahl anzeigt, dass eine Zahl auf mehrere Arten in irreduzible Faktoren zerlegt werden kann.

Kreisteilungskörper sind Zahlensysteme, die man erhält, wenn man bestimmte imaginäre Zahlen einbezieht, so genannte Einheitswurzeln. Dabei handelt es sich um Werte, die um eine bestimmte Potenz erhöht eins ergeben. Man kann sie sich als Punkte auf einem Kreis vorstellen. Eine Multiplikation mit einer anderen Zahl verschiebt sie entlang des Kreises. Kreisteilungskörper sind in den komplexen Zahlen enthalten, doch man kann ihren maximalen reellen Unterkörper betrachten: den Teil, der in den reellen Zahlen enthalten ist.

Mitte des 19. Jahrhunderts stellte der Mathematiker Ernst Kummer in Briefen an seinen Kollegen Leopold Kronecker erstmals die Vermutung auf, dass eine ungerade Primzahl p die Klassenzahl des maximalen reellen Unterkörpers des p-ten Kreisteilungskörpers nicht teilt; also das Zahlensystem, das man erhält, wenn man eine p-te Einheitswurzel an die rationalen Zahlen anhängt.

Für Kummers Vermutung fand sich keine Lösung. Harry Vandiver entdeckte sie in den frühen 1900er Jahren wieder und verbreitete sie in der Fachwelt. Das bis heute ungelöste Problem ist daher als Kummer-Vandiver-Vermutung (oder manchmal auch einfach als Vandiver-Vermutung) bekannt. Kummer überprüfte seine Vermutung von Hand für Primzahlen, die kleiner als 200 sind, und Vandiver für Primzahlen kleiner als 600.

Mit modernen Computern haben Fachleute die Vermutung inzwischen für Primzahlen bis zu zwei Milliarden verifiziert. Damit ist sie natürlich nicht bewiesen. Es bedeutet lediglich, dass ein Gegenbeispiel nur für größere Zahlen auftreten könnte – falls es eines gibt. Was mich an dieser Vermutung am meisten fasziniert, ist ihre überraschende Verbindung zur algebraischen K-Theorie, einem sehr abstrakten Gebiet der Mathematik, das der Mathematiker Daniel Quillen in den 1970er Jahren entwickelte und auf den ersten Blick nichts mit einem so konkreten Problem der Zahlentheorie zu tun hat.«

Unterschied zwischen Knoten

Seppo Niemi-Colvin, Indiana University Bloomington:
»Ich beschäftige mich mit 3-Mannigfaltigkeiten – oder Räumen, die beim Heranzoomen wie der euklidische dreidimensionale Raum aussehen, beim Herauszoomen allerdings mehr Struktur haben. Eine Analogie dazu im Zweidimensionalen ist eine Kugel, die beim Heranzoomen wie eine Ebene aussieht. Es kann schwierig sein, sich 3-Mannigfaltigkeiten vorzustellen, da sie nicht in den 3-D-Raum passen.

In der Knotentheorie werden verknotete Schleifen (ohne lose Enden) in dreidimensionalen Räumen untersucht. Das kann der gewohnte euklidische Raum sein, aber auch eine 3-Mannigfaltigkeit, da diese ja lokal wie ein 3-D-Raum aussieht. Damit stellt sich die Frage, wie sich Knoten in diesen neuen Umgebungen verhalten.

Knotentabelle | Liste der topologisch unterschiedlichen Knoten, sortiert nach der Anzahl ihrer Kreuzungen.

Dabei interessiert mich vor allem, inwiefern sich Knoten in anderen 3-Mannigfaltigkeiten von Knoten im 3-D-Raum unterscheiden können. In meinem Bereich bemisst man den Unterschied zwischen Knoten daran, wie kompliziert eine Fläche zwischen ihnen ist. Trotz der großen Vielfalt an Knoten im 3-D-Raum lässt sich zeigen, dass es Knoten in 3-Mannigfaltigkeiten gibt, die sehr komplizierte Flächen erfordern, um zu einem beliebigen Knoten im 3-D-Raum zu werden. Allerdings wurden viele dieser Knoten in 3-Mannigfaltigkeiten speziell konstruiert, damit unsere Techniken funktionieren. Wir müssen folglich noch eine Menge lernen, um diese Frage für beliebige Knoten zu beantworten.«

Die HRT-Vermutung

Kasso Akochayé Okoudjou, Tufts University:
»1996 stellten Christopher Heil, Jayakumar Ramanathan und Pankaj Topiwala eine Vermutung auf, die heute nach ihren Nachnamen als HRT-Vermutung bekannt ist. Sie stellten fest, dass jede endliche Menge von Zeit-Frequenz-Verschiebungen einer Funktion, deren Quadrat integrierbar und die nicht null ist, auf der reellen Achse linear unabhängig ist.

Als solche ist die HRT-Vermutung sehr einfach zu formulieren, hat sich allerdings als äußerst schwierig zu lösen erwiesen. Vereinfacht ausgedrückt sagt sie aus, dass jede endliche Menge von Vektoren linear unabhängig ist, wenn die einzige Linearkombination, die den Nullvektor ergibt, jene ist, bei denen die drei Vektoren selbst null sind. In der HRT-Vermutung sind diese Vektoren aber Funktionen, die durch eine grundlegende Operation erzeugt werden: die Zeit-Frequenz-Verschiebung einer festen Funktion. Konkret bedeutet die Zeit-Frequenz-Verschiebung einer Funktion g um einen Punkt (p, q), dass man g um die erste Koordinate p verschiebt und das Ergebnis mit einer komplexen Exponentialfunktion mit der Frequenz q multipliziert.

Bislang gab es nur wenige Fortschritte in dem Bereich. Die bekannten Lösungen für Spezialfälle der Vermutung verwenden Werkzeuge aus verschiedenen Bereichen der Mathematik und fußen typischerweise auf zwei verschiedenen Ansätzen. Beim ersten werden die Punkte in der Ebene eingeschränkt, die als Zeit-Frequenz-Parameter dienen, während die Funktion willkürlich gewählt wird. Die Vermutung ist beispielsweise dann wahr, wenn die Punkte aus einem Gitter ausgewählt werden – eine Bedingung, die immer gilt, wenn es sich um drei beliebige Punkte handelt. Beim zweiten Ansatz wird hingegen die Funktion eingeschränkt, während die Menge der Punkte willkürlich bleibt. Es gibt auch andere Fälle, in denen sowohl die Funktion als auch die Punktmenge beschränkt werden. Trotz der Bemühungen ist die Vermutung zurzeit noch unbewiesen.«

Wie man interessante algebraische Untervarietäten konstruiert

Claire Voisin, Centre national de la recherche scientifique (CNRS):
»Ich forsche im Gebiet der algebraischen Geometrie, insbesondere mit Bezug zu den komplexen Zahlen. Eine algebraische Varietät ist durch die Nullstellen von Polynomgleichungen mit mehreren Variablen definiert – im einfachsten Fall beschreiben sie etwa eine Gerade oder eine Parabel. Die wichtigste Frage, die sich dabei stellt, lautet: Wie lassen sich interessante algebraische Untervarietäten einer gegebenen algebraischen Varietät konstruieren? Hierbei spielt das Wörtchen ›interessant‹ eine wichtige Rolle, da sich immer Untervarietäten konstruieren lassen, indem man einfach zusätzliche Gleichungen hinzufügt. Aber sie werden in der Regel uninteressant sein.

Die Hodge-Vermutung stellte der Mathematiker Sir William Vallance Douglas Hodge Mitte des 20. Jahrhunderts auf, und sie wurde von Alexander Grothendieck in den späten 1960er Jahren zur verallgemeinerten Hodge-Vermutung erweitert. Wenn diese Vermutungen zutreffen, wird die unglaublich schöne und gut strukturierte Theorie der Hodge-Strukturen zu einer perfekten Brücke zwischen Topologie und algebraischer Geometrie. Obwohl ihre Formulierung einige tief gehende Kenntnisse erfordert, haben sie eine starke Vorhersagekraft und können an sehr einfachen Beispielen getestet werden. So sagt die verallgemeinerte Hodge-Vermutung die Existenz vieler interessanter Flächen in Hyperflächen vom Grad d voraus, die durch eine einzige Gleichung d-ten Grades im projektiven Raum von mindestens 2d Dimensionen definiert sind. Außer für sehr kleine Werte von d ist diese Aussage bisher nicht belegt.

Was die Hodge-Vermutung selbst betrifft, ist bis heute lediglich ein Fall bewiesen: nämlich jener mit Untervarietäten der Dimension eins. Der Beweis ist einfach, aber auch sehr tiefgründig und nicht auf höhere Dimensionen verallgemeinerbar.«

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