Hundeerziehung: Belohnen oder bestrafen?

Cesar Millan sorgt für hitzige Debatten unter Hundehaltern. Mit der 2004 erstmals ausgestrahlten US-amerikanischen TV-Serie »The Dog Whisperer« wurde er weltweit bekannt und prägte das Bild eines strengen, aber angeblich einfühlsamen Hundetrainers. Sein Ansatz beruht auf dem Konzept des »dominanten Alphatiers«: Der Mensch müsse sich als Rudelführer behaupten, um seinen Hund zu kontrollieren. Techniken, die auf körperlichen Korrekturen beruhen, sollen unerwünschtes Verhalten unterbinden. Millan drückt Hunde dorthin, wo er sie haben will, kneift sie auch mal in die Seite. Bewusst setzt er die Alpharolle ein, bei der ein Hund auf den Rücken gedreht und festgehalten wird, um ihn zu »unterwerfen«. Während die einen Millan als genialen Hundetrainer feiern, bezeichnen ihn Kritiker als Tierquäler: Er würde mit überholten Methoden arbeiten, die auf Zwang und Einschüchterung basieren und den Vierbeinern schaden. Doch was ist jenseits aller emotionalen Debatten eigentlich bekannt zu der Frage, wie man seinen Hund erziehen sollte?
Die Vorstellung vom »Alphatier«, das seine überlegene Position behaupten muss, basiert auf frühen Beobachtungen von Wölfen in Gefangenschaft. In Gehegen kämpften zusammengewürfelte Tiere oft aggressiv um die Rangordnung, bis ein dominantes Paar – das Alphamännchen und das Alphaweibchen – das Rudel übernahm und mit Zwang und Gewalt in Schach hielt. Besonders arm dran war der Omegawolf, ein ganz unten in der Hierarchie stehender »Prügelknabe«, der von allen anderen unterdrückt wurde.
Unter natürlichen Bedingungen geht es jedoch ganz anders zu, wie David Mech und seine Doktorandin Jane Packard in den 1980er Jahren zeigten. Frei lebende Wolfsrudel bilden keine starren Hierarchien, sondern familienähnliche Strukturen, in denen viel verhandelt und kommuniziert wird. Erfahrene Elterntiere leiten das Rudel an, während die jungen Wölfe durch Beobachtung von ihnen lernen. Es geht meist sehr friedlich zu, die Wölfe spielen und kuscheln miteinander, betreiben gegenseitige Körperpflege. Obwohl das Bild vom dominanten Anführer seither als überholt gilt, hat es sich in vielen Köpfen festgesetzt und die Hundeerziehung geprägt.
Hunde sind keine Wölfe
Von in Gefangenschaft lebenden Wölfen auf Hunden zu schließen, ist aber »gleich doppelt falsch«, wie Zsófia Virányi von der Veterinärmedizinischen Universität Wien es ausdrückt. »Erstens gibt es bei frei lebenden Wölfen keine Alphatiere, sondern nur fürsorgliche Eltern. Und zweitens sind Wölfe keine Hunde.« Man könne nicht vom Verhalten ihrer wilden Ahnen auf Bulldogge, Pudel, Chihuahua und so weiter schließen. Im »Clever Dog Lab« des Messerli Forschungsinstituts sowie im Wolfsforschungszentrum in der niederösterreichischen Gemeinde Ernstbrunn erforscht die Biologin, wie Hunde und handaufgezogene Wölfe untereinander sowie mit Menschen interagieren.
Virányi weiß: »Während Wölfe sich als uns Menschen ebenbürtig betrachten, schauen Hunde immer zu uns auf. Sie sind äußerst empfindlich gegenüber Dominanz und nehmen Menschen automatisch als überlegen wahr.« Das liegt vermutlich daran, dass wir Hunde über Jahrtausende hinweg darauf hin selektiert haben, um unsere Regeln zu akzeptieren. Individuen, die sich der menschlichen Führung widersetzten, wurden aussortiert. »Man wollte Tiere, die folgten«, so Virányi.
Das hat dazu geführt, dass Hunde auch Dinge über sich ergehen lassen, die ihnen unangenehm sind. »Sie akzeptieren viel mehr als Wölfe und senden oft nur subtile Signale, wenn sie etwas nicht mögen. Im Alltag und Training mit ihnen ist es deshalb unsere Verantwortung, genau auf ihre Botschaften zu achten, um ihnen kein Leid zuzufügen.« Damit ein Hund sein Frauchen oder Herrchen als ihm überlegen akzeptiert, braucht es keinen Körpereinsatz in Form von Alpharolle oder Schnauzengriff. Feinfühlig nimmt er den Tonfall wahr, liest Mimik und Gestik. »Eine aufrechte Körperhaltung beispielsweise, eine tiefe Stimme oder ein klares Nein sorgen in der Regel bereits dafür, dass der Hund dem Halter oder der Halterin die Führung überlässt.«
»Als Mensch sollte man sich bemühen, die Welt aus der Perspektive seines Hundes zu sehen«Zsófia Virányi, Biologin
Überspannt man den Bogen immer wieder, kann es Virányi zufolge passieren, dass ein Hund auf Grund von Stress unerwünschtes Verhalten zeigt, womöglich ängstlich und unsicher wird – oder irgendwann doch eine Grenze zieht und beißt. »Hundesprache« zu lernen, ist für die Biologin deshalb die Basis allen Trainings. »Als Mensch sollte man sich bemühen, die Welt aus der Perspektive seines Hundes zu sehen«, sagt sie. »Wir müssen uns immer wieder fragen, wie unser Verhalten wohl auf das Tier wirken mag.« So kann ein Hund unmöglich verstehen, warum er erst einmal für eine Weile an der Leine ziehen darf und dann plötzlich mit einem harten Ruck zurückgezogen wird, weil Frauchen oder Herrchen nach einigen Minuten davon genervt ist. Oder wenn er am einen Tag aufs Sofa darf und am anderen nicht, weil er nach dem Spaziergang nass und dreckig ist.
Hundeerziehung mit Leckerchen, Lob und Spiel?
Die meisten Trainingsmethoden bewegen sich zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite gibt es Ansätze, die vollständig auf unangenehme Erfahrungen für den Hund verzichten: Erwünschtes Verhalten wird mit Leckerchen, Lob oder Spiel gefördert, unerwünschtes niemals korrigiert. Am anderen Ende des Spektrums stehen Methoden, die auf unangenehme Konsequenzen setzen, im Extremfall auf das Erzwingen bestimmter Positionen oder den Einsatz von Hilfsmitteln, die Schmerzen oder Unbehagen auslösen. Beispiele hierfür sind die hier zu Lande verbotenen elektronischen Halsbänder sowie Sprühhalsbänder, welche übel riechende Substanzen ausstoßen oder mit Wasser spritzen, Stachel- und Würgehalsbänder. Dass so etwas einem Tier schadet, bezweifelt heute kaum noch jemand.
Die Erziehung der meisten Halterinnen und Halter befindet sich irgendwo dazwischen: Ihre Hunde bekommen Lob, aber auch mal ein Nein zu hören. Ein rein belohnungsbasiertes Training hält Virányi für unrealistisch: Wenn der Hund sich oder andere gefährdet, müsse man das korrigieren, etwa wenn er auf die Straße rennt oder ein Welpe ein Kind beim Spielen ins Gesicht beißt. »Hunde erwarten Kommunikation und Feedback von uns«, sagt sie.
»Wenn im Hundetraining von Bestrafung die Rede ist, meinen Menschen damit oft unterschiedliche Dinge«, betont Marie Nitzschner, Verhaltensbiologin und Hundetrainerin in Leipzig. »Für manche ist das bereits ein Nein, für andere ein Elektroschock. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Strafe alles, was ein Verhalten weniger wahrscheinlich macht.«
- Trainingstipps von Marie NitzschnerHier finden sie Ratschläge von der Verhaltensbiologin und Hundetrainerin Marie Nitzschner zu fünf typischen Problemen, wie sie im Alltag mit Hund auftreten können.
- Missverständnisse Ein häufiger Fehler ist unklare Kommunikation. Oft senden wir widersprüchliche Signale. Zum Beispiel, wenn man es meistens begrüßt, wenn der Hund einem in der Wohnung hinterherläuft, ihn aber irgendwann genervt wegschickt. So etwas kann er nicht verstehen. Er braucht eine klare Struktur: Was ist erlaubt, was nicht und welche Aufgaben übernimmt der Mensch? Ein Beispiel: Wenn es klingelt, muss nicht der Hund entscheiden, wer hereinkommen darf. Dafür ist es wichtig, dass er im Vorfeld gelernt hat, was er alternativ tun soll – etwa, in sein Körbchen gehen, wenn es klingelt. Sobald der Trubel vorbei ist, darf er wieder dazukommen.
- An der Leine ZiehenEs kann hilfreich sein, zwei klare Kontexte einzuführen. So lernt der Hund, wann genau die Leinenführigkeit verbindlich ist. Beim Spaziergang trägt der Hund sowohl Halsband als auch Geschirr. Im Arbeitsmodus befestigt man die Leine zum Beispiel am Halsband. In kurzen, spielerischen Einheiten wird zunächst in ablenkungsarmer Umgebung die Leinenführigkeit trainiert. Sobald die Leine locker ist und der Hund gut nebenherläuft, wird angemessen belohnt. Im Freizeitmodus macht man die Leine ans Geschirr, jetzt darf der Hund schnuppern und sich in seinem Tempo bewegen. So entsteht Klarheit für beide Seiten. Wichtig ist, dass man das Training kleinschrittig aufbaut – täglich kommt zum Beispiel eine Minute dazu. Was zunächst zeitaufwändig klingt, geht schnell, sobald der Hund verstanden hat, was man von ihm will. Das ist nur eine Möglichkeit von vielen. Es kommt immer auf das individuelle Tier und den Menschen an und darauf, was zu beiden passt.
- JagdmotivationDurch Training kann man zwar viel erreichen, stößt aber bei jagdlich motivierten Hunden an Grenzen. Liegt das Jagen in seiner Natur, ist es wichtig, realistische Erwartungen zu haben: Nicht alles lässt sich wegerziehen – stattdessen ist Management gefragt, zum Beispiel, indem man zur Schleppleine greift. Ein zentraler Baustein im Training ist die frühe Ansprache, bevor der Hund völlig im »Jagdfilm« versinkt. Denn Jagdverhalten beginnt nicht erst beim Losrennen, sondern oft viel früher, beim scheinbar harmlosen Schnüffeln. Wer seinen Vierbeiner gut lesen kann, erkennt, ob er einfach neugierig ist oder bereits auf der Suche nach einer Spur. Jetzt kann man den Hund noch zurückholen, seine Aufmerksamkeit umlenken.
- Der Hund knurrt und schnappt, wenn man ihm Futter wegnehmen willEin sinnvoller Weg kann es sein, von Anfang an Kooperation, statt Konfrontation zu trainieren. Schon im Welpenalter lässt sich ein so genanntes »Aus«-Kommando etablieren – am besten über einen guten Tausch. Der Hund lernt: Wenn ich etwas abgebe, bekomme ich im Gegenzug etwas Besseres. So entsteht Vertrauen statt Frust, und der Hund hat keine Angst davor, etwas zu verlieren. Manchmal »besitzen« Hunde jedoch auch Räume oder Möbelstücke wie ein Sofa. Wenn ein Hund so etwas verteidigt, kann das zum Sicherheitsrisiko werden. In solchen Fällen geht es meist weniger um Tauschgeschäfte, sondern eher um klare Regeln im Alltag.
- Pöbeln an der LeineWie immer kommt es auch hier ganz darauf an. Aus der Sicht des Hundes ist das Pöbeln erfolgreich: Er macht Krach und das Gegenüber entfernt sich. So verknüpft er, dass sein Verhalten »wirkt«, auch wenn es mitunter Zufall war. Wichtig ist, den Hund ansprechbar zu halten, bevor er in die Leine springt – eine gute Kommunikation ist also Voraussetzung. Dann kann man gemeinsam einen Bogen laufen oder eine Handlungsalternative entwickeln. Wenn der Hund bereits bellend in der Leine hängt, hilft nur noch: durchatmen und ruhig bleiben.
In der Lerntheorie unterscheidet man zwischen zwei Formen: Bei positiver Bestrafung erfolgt etwas Unangenehmes, etwa ein Leinenruck, wenn der Hund zieht. Bei negativer Bestrafung fällt etwas Angenehmes weg, zum Beispiel Aufmerksamkeit, wenn sich der Mensch abwendet, sobald der Hund bettelt. So genanntes aversives Training beruht auf positiver Bestrafung oder negativer Verstärkung. Bei Letzterer lernt der Hund, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, um etwas Unangenehmes zu vermeiden. Ein Beispiel: Der Halter übt »sitz!« und übt dabei Druck auf das Hinterteil des Hundes aus, der erst verschwindet, wenn das Tier tut, was man will. Im Training versucht Nitzschner, die Aufmerksamkeit von Herrchen und Frauchen auf das zu lenken, was sie vom Hund wollen, anstatt auf das, was sie nicht wollen. »Das führt automatisch dazu, dass man belohnungsbasierter trainiert und wohlwollender mit dem Hund umgeht«, sagt sie.
2017 sind gleich zwei Überblicksartikel erschienen, die sich mit der kontrovers diskutierten Frage befassen, ob aversive Methoden Hunden schaden und vermieden werden sollten. Der eine stammt von Gal Ziv, der heute an der Litauischen Sportuniversität in Kaunas forscht, der andere wurde von einem Team um die Kognitionswissenschaftlerin Ana Catarina Vieira de Castro von der Universität Porto verfasst.
Was genau sagen die beiden Übersichtsarbeiten aus – und wo stoßen sie an ihre Grenzen? Größtenteils stützten sie sich auf dieselben Studien, doch das Team um Vieira de Castro ging bei der Auswahl strenger vor: Ihr Artikel bezieht sich auf 14 Studien, während Ziv 17 einbezog. Im Mittelpunkt standen in beiden Arbeiten Stressreaktionen – entweder messbar über das Verhalten der Hunde oder über ihren Cortisolspiegel.
Verschiedene Schlüsse
Ziv kam zu einem klaren Schluss: Aversive Reize sind gefährlich. Deshalb sollte man Hunde ausschließlich mit Belohnungen trainieren. Die Gruppe um Vieira de Castro äußert sich zurückhaltender. Es gebe Studien, die Vorteile des Belohnungstrainings zeigten, andere fänden keinen Unterschied.
In einem Podcast erklärt Nora Brede, weshalb die beiden Artikel zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Der Evolutionsbiologin und Leiterin der Hundetrainer-Ausbildungsstätte »KynoLogisch« zufolge ist die Objektivität bei einem Review zwar deutlich höher als bei Erfahrungsberichten – doch auch Wissenschaftler würden mit Hypothesen und Überzeugungen arbeiten. »Es sind immer noch Menschen«, so Brede.
Was die methodische Herangehensweise angeht, ist die Arbeit von Vieira de Castros Team transparenter. Es schloss außerdem eine Fallstudie aus, in der ein Hund nach massiver Gewalt – er wurde durch die Luft geschleudert – an einer Hirnblutung starb. Dass so etwas nicht in ein Review gehört, hält Brede für vollkommen richtig. Im Podcast sagt sie: »Es ist kein Training, wenn der Hund das nicht überlebt.« Ziv hingegen bezog die Studie ein und machte daraus ein starkes Argument gegen aversive Methoden.
Allerdings, so Brede, beruhen auch viele andere in den Überblicksartikeln enthaltenen Studien auf besonders harten Methoden, vor allem mit Elektroschocks. Was nicht betrachtet wurde, sind mildere, alltagstaugliche Signale. »Kein Nein, kein böser Blick, keine Stimmungsänderung«, sagt sie. Solche nuancierten Erziehungsansätze fielen meist unter den Radar der Forschung.
Am Ende raten auch Vieira de Castro und ihre Kollegen zu belohnungsbasiertem Training. Ihr Argument: Aversive Methoden bergen ein hohes Risiko für Fehlanwendung. So ist es für Laien sehr schwierig, den richtigen Moment für eine Strafe abzupassen. Fährt etwa zufällig ein Radfahrer am Hund vorbei, während er einen Elektroschock erhält, um ihn vom Bellen abzuhalten, kann es passieren, dass er künftig zwar weiterhin bellt, aber Angst vor Fahrrädern hat. Stachelhalsbänder können zu Hautverletzungen und Blutergüssen führen und – genau wie Würgehalsbänder – die Luftröhre oder den Kehlkopf schädigen. Eine weitere Gefahr ist, dass man mit Bestrafung Symptome bekämpft, aber keine Ursachen. Ein Beispiel: Knurrt ein Hund, zeigt er damit an, dass ihm etwas nicht gefällt. Bestraft man ihn dafür, überspringt er die Warnung künftig womöglich und beißt stattdessen gleich zu.
Die wissenschaftliche Datenlage ist Vieira de Castro zufolge zu dünn, um eindeutige Schlüsse zu ziehen. Die meisten Untersuchungen basieren auf dem Training von Militär- oder Laborhunden, nicht Familienhunden. Vor allem beruht die Mehrheit der Studien auf Umfragedaten. Sie zeigen zwar Korrelationen, etwa zwischen harten Trainingsmethoden und Angst oder Aggressivität, können aber keine Ursache-Wirkungs-Beziehung belegen.
Die Verhaltensbiologin Juliane Bräuer leitet das Team »Hundestudien« am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena. Sie wünscht sich, dass den endlosen Diskussionen über Strafe und Belohnung durch methodisch solide Studien ein Ende gesetzt wird. Gleichzeitig weiß sie, wie schwierig das in der Praxis ist. »Im Idealfall teilt man die Welpen verschiedener Würfe in zwei oder mehrere Gruppen ein und zieht sie unter tierschutzkonformen, kontrollierten Bedingungen auf, wobei man in jeder Gruppe eine andere Trainingsmethode anwendet.« Über mehrere Jahre hinweg würde dann dokumentiert, wie sich die Hunde entwickeln, mit welchem Ansatz sie besser lernen – und vor allem, wie es ihnen dabei geht. Im Idealfall vergleicht man auch unterschiedliche Rassen. »Solche Längsschnittstudien sind extrem aufwändig bis unmöglich. Man bekommt das kaum finanziert. Wenn es hier eine Möglichkeit gäbe: Wir würden das sofort machen.«
Hinzu kommt Bräuer zufolge eine weitere Schwierigkeit: Damit eine Studie aussagekräftig ist, braucht es die enge Zusammenarbeit mit Hundetrainerinnen und -trainern – und die ist ihrer Erfahrung nach schwer zu bekommen. »Wer seine Methode in einer wissenschaftlich fundierten Untersuchung mit einer anderen vergleichen lässt, geht das Risiko ein, dass sie dabei schlechter abschneidet«, sagt Bräuer. »Und Hundetraining ist nun mal auch ein Geschäft.« Sie vermutet, dass in Sachen Training »am Ende verschiedene Wege ans Ziel führen«.
»Vieles weiß man aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht. Wir stehen ganz am Anfang«Juliane Bräuer, Biologin
Drei Jahre nach Erscheinen ihres Reviews veröffentlichte Ana Catarina Vieira de Castro eine methodisch vergleichsweise robuste Studie. Gemeinsam mit ihrem Team ist es ihr gelungen, Hundeschulen in Porto von einer Zusammenarbeit zu überzeugen. Dabei verzichtete sie komplett auf subjektive Umfragedaten. Stattdessen beobachtete sie das Verhalten von insgesamt 92 Hunden aus sieben Hundeschulen, die sie je nach Trainingsstil in drei Gruppen einteilte. In der ersten Gruppe waren 42 belohnungsbasiert trainierte Vierbeiner, die zweite Gruppe umfasste 22 Tiere, deren Schulen sowohl belohnungsbasierte als auch aversive Techniken verwendeten. Die dritte Gruppe bestand aus 28 Hunden, die vor allem aversiven Methoden wie Leinenrucken ausgesetzt waren.
Um die Auswirkungen auf das Wohlbefinden zu bewerten, nahmen die Fachleute jeden Hund während drei Trainingseinheiten per Video auf. Anhand dieses Materials analysierten sie, wie häufig die Tiere typische Stresssignale zeigten, etwa Hecheln, Gähnen oder Lippenlecken. Um den Cortisolspiegel zu bestimmen, entnahmen sie bei jedem von ihnen Speichelproben – sowohl in der gewohnten Umgebung zu Hause (Kontrollbedingung) als auch nach dem Training.
Außerhalb des Trainings kam ein Test zur kognitiven Verzerrung hinzu. Dabei sollten die Vierbeiner abschätzen, ob eine Schüssel Futter enthielt oder nicht. Die Forschenden kreierten dabei eine unklare Situation, indem sie den Napf genau zwischen zwei Orten platzierten. Am einen hatte der Hund zuvor immer etwas Leckeres enthalten, am anderen nicht. Wenn ein Hund in der uneindeutigen Situation zögert oder sich gar nicht nähert, spricht das für eine eher pessimistische Grundstimmung: Das Tier geht vermutlich mit einer negativen Erwartungshaltung durchs Leben. Dass das bei mit aversiven Methoden trainierten Hunden der Fall ist, belegte ein Team um Rachel A. Casey in einer Studie von 2021.
- Beispiele für Stresssignale bei HundenHier finden sie einige Anzeichen dafür, dass ein Hund unter Anspannung oder Stress steht.
- Körpersprache
Wegdrehen oder Ducken: Die Ohren sind nach hinten gelegt, die Rute kann gesenkt sein. Wird mitunter vom Lecken der Lippen oder Heben der Pfoten begleitet.
Schütteln: Eine häufige Ursache ist das »Stress abschütteln« nach einer angespannten Begegnung – viele Hunde schütteln sich danach einmal kräftig, um die innere Unruhe loszuwerden.
Rute einziehen: Eine eingezogene Rute bei Hunden ist ein häufiges Zeichen für Stress, Angst oder Schmerzen.
Übersprungshandlung: Tritt in Stress- oder Konfliktsituationen auf. Der Hund ist innerlich hin- und hergerissen und greift auf ein alternatives Verhalten zurück, das ihm hilft, die innere Spannung abzubauen. Hierzu gehört unter anderem, Gähnen, Schütteln oder Kratzen.
- Mimik
Stressgesicht: Zurückgezogene Mundwinkel, das Weiße in den Augen ist sichtbar
Gähnen, Sabbern und Lippen lecken: Ein stressbedingtes Gähnen ist hektischer als schläfriges Gähnen, oft mit aufgerissenen Augen. Mitunter sabbern Hunde und lecken sich übermäßig über das Maul, wenn sie nervös sind.
Ohren anlegen: Die Ohren sind an den Seiten gefaltet.
Hecheln: Wenn Ihr Hund hechelt, obwohl er sich nicht bewegt hat, steht er möglicherweise unter Stress.
- Lautgebung
Winseln und Bellen: Lautäußerungen sind ein normaler Ausdruck von Hunden, können aber verstärkt werden, wenn sie unter Stress stehen. Hunde, die ängstlich oder angespannt sind, winseln oder bellen, um Aufmerksamkeit zu erregen oder um sich selbst zu beruhigen.
Die Ergebnisse von Vieira de Castro offenbarten deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen: Aversiv trainierte Hunde zeigten im Training mehr Anzeichen von Stress und Anspannung als solche, die belohnungsbasiert erzogen wurden. Auch waren ihre Cortisolwerte nach dem Training höher. Im Test zur kognitiven Verzerrung waren sie pessimistischer, ein Hinweis auf ein insgesamt negativeres emotionales Erleben. Die Tiere aus der »gemischten« Gruppe, bei denen ein geringerer Anteil aversiver Methoden zum Einsatz kam, wirkten ebenfalls gestresster als jene, die belohnungsbasiert trainiert wurden. Die Unterschiede waren hier jedoch geringer.
Juliane Bräuer meint: »Vieles weiß man aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht. Wir stehen ganz am Anfang.« Genau wie Zsófia Virányi und Marie Nitzschner ist sie aber davon überzeugt, dass wir Menschen unsere Hunde anleiten müssen – und zwar mit Geduld, Respekt, klarer Kommunikation und verbindlichen Regeln. Sind diese Dinge nicht gegeben, könne das für den Hund womöglich sehr viel unangenehmer sein, als wenn er hin und wieder ein Nein zu hören bekommt. »Man sagt immer, der Hund sei des Menschen bester Freund, aber ganz so ist es nicht. Mit einem Freund diskutiere ich darüber, was es zum Abendessen gibt, mit meinem Hund nicht.«
Laut Virányi verhält es sich in der Hundeerziehung ähnlich wie mit Kindern. Manchmal würden Eltern auf assoziatives Lernen setzen: »Wenn sich ein Kind mit Händen und Füßen dagegen wehrt, in den Kindergarten zu gehen, kann man konsequent bleiben und es trotzdem dorthin zerren, um unerwünschtes Verhalten nicht zu belohnen.« Man solle jedoch gleichzeitig eine Beziehung mit dem Kind aufbauen, indem man herauszufinden versucht, was die Gründe für das Verhalten sind, bei Stress oder Angst seine Unterstützung anbieten und es dadurch langfristig stärken.
»Hunde bleiben ihr Leben lang in einer Art kindlichen Abhängigkeit zu uns. Sie sollten sich bei uns sicher und aufgehoben fühlen«Zsófia Virányi, Biologin
Sie betont auch, dass Hundeerziehung nicht nur während des Trainings stattfindet, sondern vor allem im Alltag. Doch sei uns oft gar nicht bewusst, wie sehr wir durch unsere Stimmung, unseren Tonfall oder unsere Körperhaltung Botschaften senden. »Für den Hund kann es Distanz in der Beziehung schaffen, wenn man ihn mit einer Geste wegschickt, weil man nach einem langen Tag müde ist, der Hund aber noch spielen will«, so Virányi. »Hunde bleiben ihr Leben lang in einer Art kindlichen Abhängigkeit zu uns. Sie sollten sich bei uns sicher und aufgehoben fühlen.«
Die Wahl der Trainingsmethode ist schließlich eine persönliche Entscheidung. Denn sowohl positive Verstärkung als auch aversive Erziehung lassen sich nutzen, um unerwünschtes Verhalten zu kontrollieren. Bei Ersterem muss man sich zwar mehr mit den Bedürfnissen und dem Verhalten des Tieres auseinandersetzen. Aber man vermeidet damit gesundheitsschädliche Nebeneffekte, wie zum Beispiel einen dauerhaft erhöhten Cortisolspiegel auf Grund von Stress.
Häufig hört man das Argument »Hunde gehen auch nicht zimperlich miteinander um!« Das ist allerdings falsch. Sie gehen in der Regel sogar sehr zimperlich miteinander um und setzen als soziale Rudeltiere ihr differenziertes Ausdrucksverhalten ein, um körperliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. In die Nase kneifen, ein leichter Tritt in die Hüfte, die Nase in Kot drücken – das hat alles nichts mit dem zu tun, wie sich Hunde natürlicherweise ihren Artgenossen gegenüber verhalten. Die gute Nachricht für alle, denen es widerstrebt, ihren Vierbeiner mit Gewalt zu erziehen: Es geht genauso ohne. Damit schafft man eine solide Basis für ein vertrauensvolles, nicht auf Angst basierendes Verhältnis zu seinem Familienhund.
Links:
Netzwerk für gewaltfreies Hundetraining: https://trainieren-statt-dominieren.de
App für wissenschaftlich fundierte Hundeerziehung: www.rudel.team
Blog der Verhaltensbiologin und Hundetrainerin Marie Nitzschner: www.hundeprofil.de
Podcast »Soziopositiv« zu Themen rund um das Leben mit einem Hund: www.kynologisch.net/podcast
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