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Hawking-Strahlung: Verdampft alles im Universum – und nicht nur Schwarze Löcher?

Schwarze Löcher geben Hawking-Strahlung ab und verdampfen dadurch langsam. Einige Physiker vermuten, dass das jede Art von Materie tun könnte – und unser Universum demnach schneller zerfällt als gedacht. Doch einige Experten sind skeptisch.
Ein leuchtender, spiralförmiger Nebel in Rot- und Orangetönen, der sich um einen hellen, zentralen Lichtpunkt im Weltraum windet. Umgeben von einem dunklen Hintergrund mit verstreuten, funkelnden Sternen. Keine Menschen oder Text im Bild.
Sind Schwarze Löcher vielleicht gar nicht so besonders? Neueste Arbeiten deuten darauf hin, dass jede Art von Materie verdampfen könnte.

Quantenphysik, Kosmologie und populärwissenschaftliche Bücher: Stephen Hawking war für vieles berühmt. Eine seiner herausragendsten wissenschaftlichen Leistungen bestand in der Vorhersage, dass Schwarze Löcher verdampfen. Wie er zeigte, verlieren die galaktischen Ungetüme mit der Zeit an Energie, die sie in Form von Strahlung abgeben, bis sie irgendwann ganz verschwinden. Doch die Physiker Michael Wondrak, Walter van Suijlekom und Heino Falcke von der Radboud-Universität in Nimwegen legten 2023 nahe, dass dieses Phänomen nicht nur bei Schwarzen Löchern auftritt, sondern dass alle massiven Objekte im Universum langsam verdampfen. In einer 2025 veröffentlichten Studie berechnen sie nun exemplarisch die sich dadurch ergebende Lebenszeit unterschiedlicher Objekte – von einzelnen Protonen über den menschlichen Körper bis hin zu Weißen Zwergen. Damit senken sie das maximal erreichbare Alter des Universums um einige Größenordnungen: Unser Kosmos wird demnach also früher sterben als gedacht. Doch nicht alle Fachleute sind von ihrer Argumentation überzeugt.

Schwarze Löcher gehören zu den seltsamsten Objekten im Universum. Sie vereinen so viel Masse auf so kleinem Raum, dass ab einer bestimmten Distanz nichts mehr ihrer Anziehungskraft entkommen kann, selbst Licht nicht. Passiert ein Objekt einmal den »Ereignishorizont« (eine Region, die das Schwarze Loch umgibt), gibt es kein Zurück mehr – es ist für immer verloren. Eine solche Grenze in der Raumzeit, die in eine Richtung unpassierbar ist, bringt seltsame Phänomene mit sich. Das erkannte auch der berühmte Physiker Stephen Hawking in den 1970er Jahren, als er Quanteneffekte in der Nähe von Ereignishorizonten untersuchte. Wie er feststellte, müsste dort thermische Strahlung entstehen. Sein Fazit: Schwarze Löcher verdampfen langsam.

Diese Hawking-Strahlung ist so schwach, dass sie bisher noch nicht gemessen werden konnte. »In der Umgebung von Schwarzen Löchern ist jede Menge los, von Akkretionsscheiben bis zu kosmischen Jets«, erklärte der theoretische Physiker Achim Kempf, der nicht an der neuen Studie beteiligt war, im Jahr 2023 im Gespräch mit »Spektrum.de«. »Es ist schwer, darunter die Hawking-Strahlung auszumachen.« Zudem sei die Wellenlänge der abgegebenen Strahlung extrem groß und betrage zwischen zehn bis hin zu Millionen von Kilometern. »Das lässt sich unmöglich messen«, so Kempf.

»Ich war überrascht, wie viele verschiedene Meinungen es dazu gibt, was Hawking-Strahlung überhaupt ist«Heino Falcke, Physiker

»Die Hawking-Strahlung ist so spannend, dass sie für mich ausschlaggebend war, an Schwarzen Löchern zu arbeiten«, sagt Falcke gegenüber »Spektrum.de«. Doch irgendwann habe er begonnen, sich zu fragen, ob dafür wirklich ein Ereignishorizont nötig sei. Vielleicht ist die Strahlung ja eine Folge des Gravitationsfelds im Allgemeinen und taucht daher nicht nur bei Schwarzen Löchern auf? »Als ich mich auf Konferenzen mit Expertinnen und Experten darüber austauschte, war ich überrascht, wie viele verschiedene Meinungen es dazu gibt, was Hawking-Strahlung überhaupt ist«, erzählt Falcke. Obwohl das Phänomen seit mehr 50 Jahren untersucht wird, wirft es noch heute viele Fragen auf.

Gezeitenkräfte für Quantenteilchen

Falcke ließ nicht locker. Immer wieder tauschte er sich mit Kollegen und Kolleginnen darüber aus, wie Hawking-Strahlung entsteht. »In einem Bierkeller in Bad Honnef äußerte ein Gravitationsexperte schließlich die Vermutung, dass es einen Zusammenhang mit dem Schwinger-Effekt geben könnte«, erinnert sich Falcke. Der nach dem Physiker Julian Schwinger benannte Effekt beschreibt, wie durch ein starkes elektrisches Feld plötzlich Teilchen aus dem Nichts entstehen könnten. Grund dafür ist das Quantenvakuum.

Denn in der Quantenphysik existiert kein leerer Raum. Selbst im Vakuum gibt es demnach ein regelrechtes Feuerwerk aus Teilchen und ihren Antiteilchen, die kurzzeitig entstehen und sich schnell wieder gegenseitig vernichten. Es ist fast so, als würde die Natur blinzeln: Innerhalb dieser kurzen Augenblicke entstehen Materie und Antimaterie aus dem Nichts, verschwinden aber gleich wieder, bevor es auffällt. Schwinger erkannte im Jahr 1951, dass ein starkes elektrisches Feld die kurzlebigen Teilchen-Antiteilchen-Paare voneinander trennen könnte, bevor sie sich gegenseitig vernichten. Dadurch würde im Vakuum Materie entstehen; ein Phänomen, das als Schwinger-Effekt bekannt ist.

»Ähnliches könnte sich auch in Gravitationsfeldern abspielen«, erklärt Falcke. Hierbei könnte die Schwerkraft in der Nähe eines massiven Objekts Gezeitenkräfte erzeugen, die die kurzlebigen Teilchen-Antiteilchen-Paare voneinander trennen, bevor sie sich gegenseitig vernichten. Da die Energie des Gesamtsystems erhalten bleiben muss, verliert das massive Objekt an Energie. Dadurch »verdampft« es langsam, ähnlich wie ein Schwarzes Loch. Zusammen mit seinen Kollegen Wondrak und Suijlekom führte Falcke die dazugehörigen Berechnungen in einer 2023 bei »Physical Review Letters« erschienenen Veröffentlichung durch und konnte den Effekt zumindest mathematisch belegen.

Nimmt unser Universum ein schnelleres Ende als gedacht?

In einer im Oktober 2024 erschienenen Studie haben die Fachleute die theoretischen Auswirkungen dieses Effekts berechnet. Wie lange würde es zum Beispiel dauern, bis ein Neutronenstern, der Mond oder gar ein einzelnes Proton verdampft? Wie sich herausstellt, hängt die Zeit dabei allein von der Dichte eines Objekts ab. »Das dient als Test, um festzustellen, ob unsere Berechnungen bisherigen Messungen widersprechen«, erklärt Falcke. So wisse man etwa, dass die Halbwertszeit des Protons mindestens 1034 Jahre beträgt, daher dürfe die errechnete Lebensdauer durch die Verdampfung nicht kleiner ausfallen. Und tatsächlich deutet das Modell von Falcke und seinem Team darauf hin, dass ein Proton erst nach etwa 1068 Jahren verdampft (auch wenn nicht ganz klar ist, ob sich dieser Formalismus auf ein einzelnes Quantenobjekt anwenden lässt) – was im Einklang zu den bisherigen Messungen steht. Ein Neutronenstern würde demzufolge nach ungefähr derselben Zeit verdampfen, der Mond erst nach 1089 Jahren und ein menschlicher Körper bräuchte rund 1090 Jahre (auch wenn bis dahin wohl kaum noch etwas von den Bestandteilen übrig wäre).

Mit diesen Berechnungen konnten die Fachleute auch zeigen, dass das Universum wohl schneller zerfällt als bislang angenommen. Hierfür untersuchten sie die drei Endstadien von Sternen: Schwarze Löcher, Neutronensterne und Weiße Zwerge. Jedes dieser Objekte verdampft laut den Überlegungen der Physiker; Weiße Zwerge haben hierbei mit etwa 1078 Jahren die längste Lebenszeit. Damit markiert diese Zeitdauer das maximale Alter, welches das Universum erreichen kann, wenn man nur die Hawking-Strahlung berücksichtigt. Zuvor hatten Fachleute angenommen, Weiße Zwerge würden eine Lebenszeit von 101100 Jahren besitzen.

»Unsere Veröffentlichungen haben dazu geführt, dass die Fachwelt genauer über das Phänomen der Hawking-Strahlung nachdenkt«Heino Falcke, Physiker

Sollten Falcke und seine Kollegen Recht haben, würde das unser Verständnis des Universums radikal verändern. Doch nicht alle Fachleute sind von den Vorhersagen überzeugt. »Insgesamt betrachtet die Community diesen Vorschlag mit einer gewissen Skepsis und wartet auf Bestätigungen des prognostizierten Effekts«, sagt der Physiker Luciano Rezzolla von der Goethe-Universität Frankfurt. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die 2023 veröffentlichte Arbeit von Falcke und seinem Team keine besonders hohen Wellen in der Fachwelt geschlagen hat, unter anderem wurde sie bis heute nicht allzu oft in anderen Fachartikeln zitiert.

Und auch die Gravitationstheoretikerin Silvia Pla Garcia vom King's College London ist nicht ganz überzeugt: »Ich denke, die Mathematik ist korrekt, aber ich bin unsicher, was die Interpretation angeht.« Kurz nach der 2023 erschienenen Veröffentlichung zu dem Thema publizierte sie mit zwei Kollegen einen Kommentar, in dem sie die Schlussfolgerungen von Falcke und dessen Kollegen anzweifelte. »Es gab mehrere Gegenveröffentlichungen«, sagt auch Falcke, »aber bislang konnten wir die Zweifel der Fachleute stets ausräumen.«

Doch Physikerinnen und Physiker heben hervor, dass einige Fragen noch ungeklärt sind. So gibt Achim Kempf im Austausch mit »Spektrum.de» zu bedenken, dass Falcke und seine Kollegen nicht erläutern, wie beispielsweise ein Neutronenstern durch die Hawking-Strahlung konkret verdampfen würde: »Egal wie dessen Gezeitenkräfte Teilchenpaare produzieren und abstrahlen, der Neutronenstern verliert dabei keine Neutronen. Wie soll er also an Masse abnehmen?« Zudem hätten Falcke und seine Kollegen die Entstehung von Teilchen und Antiteilchen in den Gravitationsfeldern nur für eine bestimmte Art von masselosen Partikeln vorhergesagt, die es im Standardmodell der Teilchenphysik so nicht gibt. »Selbst wenn das erste Paper richtig wäre, müsste man die kosmologischen Erwägungen des zweiten Papers zunächst mit Standardmodell-Teilchen durchführen, um irgendetwas Kosmologisches aussagen zu können«, so Kempf.

Und auch der theoretische Physiker und Mathematiker John Baez von der University of California schreibt auf seinem Blog: »Wenn Experten der Meinung wären, dass dies auch nur den Hauch einer Chance hätte, wäre es das größte Ding seit geschnittenem Brot – zumindest im Bereich der Quantengravitation.« Aber, so sagt Baez, es sei bereits in der Vergangenheit eindeutig nachgewiesen worden, dass das Gravitationsfeld eines statischen Objekts keine Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugt.

Das sieht Falcke anders, er hält die neuen Ergebnisse für plausibel. Ähnliches hätten Fachleute bereits in den 1970er Jahren vermutet. »So finde ich die Resultate viel befriedigender und intuitiver«, sagt er. Daraus folgt jedoch nicht automatisch, dass die Vorhersagen richtig sind. »Wir stehen noch ganz am Anfang und müssen weitere Untersuchungen machen«, sagt Falcke. »Aber allein für die Diskussion hat es sich schon gelohnt. Unsere Veröffentlichungen haben dazu geführt, dass die Fachwelt genauer über das Phänomen der Hawking-Strahlung nachdenkt.«

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  • Quellen

Falcke, H. et al.: Gravitational pair production and black hole evaporation. Physical Review Letters 130, 2023

Falcke, H. et al.: An upper limit to the lifetime of stellar remnants from gravitational pair production. Journal of Cosmology and Astroparticle Physics, 2025

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