Hirngröße: Menschlicher Genschalter lässt Mäusehirn wachsen

Mäusen wächst ein größeres Gehirn als gewöhnlich, wenn man ihrem Erbgut ein Stückchen genetischen Code hinzufügt, der nur beim Menschen vorkommt. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie, die im Fachmagazin »Nature« erschienen ist.
Der DNA-Abschnitt, der die Expression bestimmter Gene steuert, kurbelt die Produktion von Zellen an, die sich zu Neuronen entwickeln. Dadurch vergrößert sich die äußere Schicht des Mäusehirns. »Wir haben immer noch keine endgültige Antwort auf die Frage, wie das menschliche Gehirn seit der Abspaltung vom Schimpansen im Lauf der Evolution auf die dreifache Größe angewachsen ist«, sagt der Neurowissenschaftler Gabriel Santpere Baró vom Hospital del Mar Medical Research Institute in Barcelona. Die Entdeckung könnte einen Teil der Erklärung liefern.
Frühere Untersuchungen legen bereits nahe, dass so genannte Human accelerated regions (HARs) die Gehirngröße entscheidend beeinflussen. Diese kurzen Genomabschnitte sind bei allen Säugetieren konserviert, haben sich aber beim Menschen nach der evolutionären Abspaltung vom Schimpansen rasch verändert. Wie genau die HARs auf das Gehirn wirken, sei bislang noch unklar gewesen, sagt die Entwicklungsneurobiologin Debra Silver von der Duke University in Durham, North Carolina, die an der neuen Studie beteiligt war.
Um sich ein klareres Bild zu verschaffen, haben Silver und ihre Kollegen einen solchen Genomabschnitt namens HARE5 genauer unter die Lupe genommen, den das Team etwa zehn Jahre zuvor entdeckt hatte. Von Mäusen ist bekannt, dass das DNA-Stück die Expression des Gens Fzd8 verstärkt. Es spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung und dem Wachstum von Nervenzellen. Das Forschungsteam verglich nun die Effekte von HARE5 bei Mäusen, Schimpansen und Menschen.
Als die Forscher eine menschliche Version von HARE5 an Stelle der eigenen Version in lebende Mäuse einpflanzten, wurde das Gehirn der Tiere bis zum Erwachsenenalter im Schnitt um 6,5 Prozent größer als das der nicht veränderten Mäuse. Der menschliche Hirnbooster war am aktivsten in so genannten radialen Gliazellen, die sich schließlich zu Neuronen und anderen Gehirnzellen entwickeln. Er steigerte die Teilung und Vermehrung der Gliazellen, woraufhin sie mehr Neurone produzierten als unter dem Einfluss der Mausversion von HARE5. Ob dies auch die kognitiven Fähigkeiten der Tiere beeinflusst, ist laut Silver noch unklar.
Auf der Suche nach Unterschieden zwischen der menschlichen und der Schimpansenversion von HARE5 entdeckten die Fachleute vier genetische Mutationen. Jede davon erhöhte die Zellteilung sowohl bei Schimpansen als auch bei Menschen.
Als Nächstes ließen die Forscher im Labor 3-D-Miniaturgehirne, so genannte Organoide, aus menschlichen Zellen wachsen. Organoide mit Schimpansen-HARE5 bildeten weniger radiale Gliazellen aus als solche mit menschlichem HARE5. Zudem waren die Gliazellen weniger entwickelt.
Der Neurowissenschaftler Santpere Baró vom Hospital del Mar Medical Research Institute in Barcelona hält es für lohnenswert, das Zusammenspiel von HARE5 mit den anderen etwa 3000 Human accelerated regions zu untersuchen, um die Entwicklung und Evolution des menschlichen Gehirns besser zu verstehen: »Sie sind eine genetische Fundgrube, in der wir weitergraben müssen.«

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