Entscheidungen: Warum wir den besten Weg zum Ziel oft verpassen

Stellen Sie sich vor, Sie warten in einer Schlange vor einer gut besuchten Eisdiele. Es geht nur langsam voran, doch gegenüber öffnet eine weitere Eisdiele. Geben Sie Ihren Platz in der Schlange auf, um schneller an ein Eis zu kommen? Menschen neigen in solchen Situationen eher zum Stehenbleiben und versäumen dadurch, einen effizienteren Weg zum Ziel einzuschlagen, fanden die Psychologen Kristine Cho und Clayton Critcher heraus – ein Phänomen, dem sie den Namen »Doubling-Back Aversion« verliehen (deutsch in etwa: Aversion gegen das Umkehren). Von dem Effekt berichteten die beiden Forschenden von der University of California in Berkeley (USA) in der Fachzeitschrift »Psychological Science«; getestet haben sie ihn an mehr als 2500 Personen.
Eine Umkehr-Aversion hegten die Teilnehmenden zum Beispiel, wenn sie in einer virtuellen Welt ein Ziel aufsuchen sollten. Dafür mussten sie zunächst bis ans Ende eines virtuellen Gangs zu einer Karte laufen, die ihnen zwei verschiedene Wege zum Ziel offenbarte: einen längeren, der links abzweigte, und rechts einen kürzeren, für den die Personen jedoch zunächst umkehren und den kurzen Gang zurücklaufen mussten. Obwohl die kürzere Option den Teilnehmern im Mittel 50 Sekunden Gehzeit ersparte, entschieden sich nur etwa 30 Prozent für sie. In einer anderen Variante der Studie mussten die Probanden für den kürzeren Weg nicht umdrehen, sondern lediglich einen gleich langen Streckenabschnitt entgegen der Zielrichtung laufen. Hier entschied sich immerhin etwa die Hälfte für die kürzere Strecke. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass gerade die Umkehr Personen von der kürzeren Möglichkeit abhielt – also der Eindruck, bereits erbrachte Mühen rückgängig zu machen. Bei der Umkehr-Aversion spielt laut den Forschern außerdem das Gefühl einer Rolle, etwas Neues beginnen zu müssen, statt bei einer alten Strategie zu bleiben.
In einem weiteren Experiment erhielten die Teilnehmer die Gelegenheit, eine metaphorische Kehrtwende zu vollziehen und dadurch geistige Ressourcen zu sparen: Entweder sie blieben bei einer Aufgabe – englische Wörter mit dem Anfangsbuchstaben »G« aufschreiben – oder ihre bisher gefundenen Wörter würden gelöscht und sie wechselten zu einer anderen Aufgabe, die ihnen laut Einschätzung der Studienleiter leichtfallen sollte: Wörter mit dem Anfangsbuchstaben »T« zu generieren. Dennoch wechselte nur ein Viertel der Probanden die Aufgabe. Wirkte die neue Aufgabe dagegen wie eine Fortsetzung der alten und die zuvor angegebenen Wörter wurden nicht gelöscht, entschieden sich drei Viertel dafür.
Der Effekt ähnelt der schon bekannten »Sunk Cost Fallacy«, der Tendenz, auf Grund investierter Ressourcen an einer Entscheidung festzuhalten, obwohl diese sich als nachteilig herausstellt. Im Fokus der Umkehr-Aversion steht aber nicht, ob Menschen ein Ziel überhaupt weiterverfolgen, sondern dass sie oft versäumen, einen leichteren und schnelleren Weg dorthin zu nehmen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.