Casanovas bester Buddy: Das wilde Leben des Antonio Croce

Das Staatsarchiv von Venedig auf dem Campo dei Frari im Herzen der Lagunenstadt ist ein Dokumentendepot wie aus dem Bilderbuch. In den langen Gängen des ehemaligen Franziskanerklosters lagern in deckenhohen Regalen Unmengen verstaubter Ordner voller Schriftgut aus über acht Jahrhunderten venezianischer Geschichte. Die meisten Dokumente stammen aus der Zeit zwischen dem großen Stadtbrand von 976 und der Besetzung der Republik Venedig durch französische Truppen im Jahr 1797. Das Archiv beherbergt behördliche Urkunden, schriftliche Hinterlassenschaften aufgelassener Klöster, Handelsunterlagen oder Familienpapiere, aber auch Spitzelberichte, Ausweisungsbescheide und Haftbefehle.
In diesen abertausenden Akten sucht die Historikerin Sabine Herrmann aus Venedig gemeinsam mit ihrem Kollegen Stefano Feroci aus Florenz nach den Spuren eines scheinbar unbedeutenden Mannes: des Spielers, Betrügers und Hochstaplers Antonio Croce.
Der Abenteurer, der auch die Namen Marquese Don Antonio della Croce oder Marquis de la Croix führte, kam vermutlich Mitte der 1720er Jahre in oder bei Mailand zur Welt. Genauer weiß man es nicht. »Wir haben keinen Anhaltspunkt, und in Mailand existiert auch kein zentrales Archiv«, sagt Herrmann. »Wir müssten also jeden Kirchsprengel einzeln absuchen. Allein in der Stadt Mailand gibt es dutzende davon.« Dazu kämen noch die Dörfer in der Umgebung. Wann Croce starb, lässt sich schon eher bestimmen, wenn auch alles andere als exakt. Es ist bekannt, dass der Abenteurer die letzten Jahre seines Lebens hauptsächlich in Dresden verbrachte, wo er irgendwann nach 1797 wahrscheinlich auch starb. Dazwischen lag ein zeitweise luxuriöses Vagabundenleben auf dem ganzen Kontinent.
Croces Biografie ist gewiss nicht alltäglich, allerdings war er einer von vielen Glücksrittern, die im 18. Jahrhundert zwischen den Metropolen und Kurorten Europas hin und her reisten, vor allem um dem Glücksspiel nachzugehen. Dennoch war er nicht irgendein Lebemann: Sein Freund war der prominente Kollege Giacomo Casanova (1725–1798). Man wüsste fast nichts über Croce und das Wenige wäre längst vergessen, hätte Casanova den Mailänder nicht in seinen Memoiren erwähnt, der auf Französisch verfassten »Histoire de ma vie« (»Geschichte meines Lebens«).
»In kulturhistorischer Hinsicht sind die Memoiren ein einzigartiges Zeugnis, da sie auch vom Leben der so genannten kleinen Leute erzählen«, berichtet Herrmann. Gerade die Einblicke in den Alltag von Menschen aller Schichten gehören zu den reizvollsten Aspekten in Casanovas Werk. Manche der Zeitgenossen, mit denen der Venezianer zusammentraf, sind ausreichend bekannt – Voltaire etwa oder die Zarin Katharina die Große. Andere wären unbekannt, hätte Casanova nicht von ihnen erzählt. Dennoch bleiben viele namenlos, und die Erinnerung an jene wie Croce erschöpft sich oft in mehr oder weniger kurzen Auftritten in den Memoiren.
Casanovas Memoiren schildern Erlebtes
Gerade die verblichenen Biografien solcher Nebenfiguren weckten schon bald nach Erscheinen der ersten, stark bearbeiteten Fassung der Memoiren – in zwölf Bänden zwischen 1822 und 1828 – die Neugier des Publikums. Der Erste, der ihr von Berufs wegen nachgab, war der deutsche Historiker Friedrich Wilhelm Barthold. Er veröffentlichte bereits 1846 sein zweibändiges Werk »Die geschichtlichen Persönlichkeiten in Jacob Casanova's Memoiren«. Barthold war auch der Erste, der nachwies, dass es sich bei der »Geschichte meines Lebens« um authentische Erinnerungen handelt und nicht um ein fiktives Werk erotischer Literatur, als das es damals galt.
Seither erschienen tausende Bücher, Essays und kritische Studien zu Casanovas Leben und Werk, haben Generationen von Kulturhistorikern, Fachleute wie Laien, seine Angaben überprüft und zumeist auch bestätigt. Es gibt kritische Editionen von Casanovas Korrespondenz und Neuauflagen seiner zu Lebzeiten kaum beachteten anderen literarischen und philosophischen Werke. Auch wurden profunde Studien zum Verhältnis des Abenteurers zur Aufklärung verfasst, über sein Interesse an den Wissenschaften oder seine Beziehungen zu einzelnen Männern und Frauen der Epoche.
Lange Zeit waren es hauptsächlich Privatgelehrte, die den Spuren des Venezianers folgten. Das blieb auch noch für einige Zeit so, nachdem Anfang der 1960er Jahre erstmals ungekürzte Fassungen der »Geschichte meines Lebens« erschienen waren – zunächst auf Deutsch und Französisch, seither in dutzenden weiteren Sprachen. Doch mittlerweile ist die kulturhistorische Bedeutung von Casanovas Werk längst auch akademisch und sogar staatlich anerkannt.
Sieben Millionen Euro für Casanovas Manuskript
Im Februar 2010 erwarb die französische Nationalbibliothek das Originalmanuskript der »Histoire de ma vie« für mehr als sieben Millionen Euro von den Erben des Verlegers Friedrich Arnold Brockhaus, in deren Besitz es sich befand. Damit war es die teuerste Manuskripttransaktion in der Geschichte der Bibliothèque Nationale. Bald darauf erfolgte auf Grundlage der nunmehr in französischem Staatseigentum befindlichen Handschrift eine ausführlich kommentierte Neuedition des Werks aus den Jahren 2013 bis 2015.
In seiner Heimatstadt Venedig, aus der er zu Lebzeiten zweimal vertrieben worden war, nimmt sich heute die Università Ca' Foscari Casanovas und seines Werks an. Das dortige Institut für Vergleichende Sprach- und Kulturwissenschaften ist das Zentrum einer internationalen Gemeinde von Casanova-Spezialisten. Es werden Forschungsergebnisse ausgetauscht, aufbereitet und jährlich im Fachjournal »Casanoviana« veröffentlicht.
Seit 2010 betreibt auch Sabine Herrmann ihre Casanova-Studien in Kooperation mit der Universität Venedig. Die studierte Ägyptologin kam im Zuge ihrer Forschungen zur Medizingeschichte auf den Abenteurer, einen, wie sie sagt, »an den medizinischen Entwicklungen seiner Zeit stets interessierten, aber auch überaus kritischen Patienten und Beobachter«. Mittlerweile gehört Herrmann zu den weltweit führenden Expertinnen für Leben und Werk des Venezianers. Aktuell ist sie als Kuratorin mit der Gestaltung eines neuen Museums in der Lagunenstadt befasst, das Ende 2025 eröffnet werden und auf drei Stockwerken von Casanova und seinem Zeitalter berichten soll. Auf Antonio Croce wurde sie bei der Lektüre der Memoiren aufmerksam. »Er ist ein rätselhafter Mann, der offenbar ein ähnliches Leben wie Casanova führte, den wir aber hauptsächlich aus den Memoiren kennen«, so die Historikerin. »Ohne sie würde sich vermutlich niemand für Croce interessieren.«
Zwei Männer, deren Wege sich häufig kreuzten
Dreimal tritt Antonio Croce in den Memoiren auf. Es sind die längsten zusammenhängenden Berichte aus seinem Leben, und sie erstrecken sich jeweils über einige Tage oder Wochen. Angesichts der rund vier Jahrzehnte, die das Werk abdeckt, ist das eine recht überschaubare Zeitspanne. Die beiden Männer dürften einander auf ihren ständigen Streifzügen in Europa jedoch weitaus öfter über den Weg gelaufen sein. »Es hat den Anschein, als ob Casanova verschiedene Begegnungen mit Croce zusammengefasst hat«, erläutert Herrmann. »Er tat das auch an anderen Stellen der Memoiren, um den Erzählfluss zu beschleunigen.«
Zu Beginn der ersten Croce-Episode bemerkt Casanova, sie hätten einander zum beschriebenen Zeitpunkt im Jahr 1753 bereits gekannt. Briefe und andere Quellen belegen, dass die beiden Männer noch in den 1790er Jahren in regem Kontakt standen und einander möglichst oft besuchten. Croce verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in Dresden, Casanova auf Schloss Dux in Böhmen – die rund 80 Kilometer Luftlinie zwischen den Orten stellten für die weit gereisten Kosmopoliten auch im Alter keine unüberwindbare Distanz dar. Der Diplomat und Schriftsteller Charles de Ligne (1735–1814), ein Altersfreund Casanovas, hielt seinen Eindruck von einem Wiedersehen der beiden in die Jahre gekommenen Draufgänger in Dux im »Fragment sur Casanova« fest: »Ihr Umgang miteinander, wie sie einander ihre Erlebnisse seit der Trennung berichteten, war für mich die lustigste Sache.« Auch drei Briefe Croces an Casanova, die sich in dessen Nachlass fanden, bestätigen die Verbundenheit der beiden – etwa einer vom 3. August 1795, in dem der Mailänder in der »süßen Erinnerung an unsere alte Bekanntschaft, diese einzigartige und seit 50 Jahren andauernde Freundschaft«, schwelgt.
Croces Auftritte in den Memoiren vermitteln eine recht gute Vorstellung von seinem Wesen und seiner Lebensart. Meist betritt er die Szene mit viel Getöse, gibt überall den großen Herrn, reist in einer eigenen Kutsche an, mit einer schönen jungen Frau an seiner Seite, im Gefolge ein Diener, ein Kammermädchen, auch mal ein Sekretär. Er erregt Aufsehen, ist stets gut gelaunt, spricht laut und mit großen Gesten. Meist findet man ihn beim Kartenspiel, mal hält er die Bank – und gewinnt –, mal spielt er gegen sie – und verliert. Meist zieht »Don Antonio« jedoch allein weiter, bei Nacht und Nebel, ohne Geld, Kutsche, Personal und Frau.
Nicht so bei der ersten Begegnung, von der Casanova erzählt. Sie fand im Sommer 1753 in Padua statt. Der Venezianer hatte wieder einmal all sein Geld am Kartentisch gelassen, als ihm Croce, »der große Spieler und abgefeimte Verbesserer widrigen Glücks«, vorschlug, mit ihm beim Spiel halbe-halbe zu machen. Casanova ging auf den Vorschlag ein, und gemeinsam nahmen die beiden Männer »sieben oder acht reichen Ausländern« an vier aufeinander folgenden Tagen beim Kartenspiel einige tausend Zechinen ab, eine schöne Summe an venezianischen Goldmünzen. Am nächsten Tag jedoch musste Croce die Stadt auf behördliche Anweisung verlassen und zog weiter nach Venedig, »in einer schönen Berline (Reisewagen) mit seiner Frau, einer Kammerjungfrau und zwei Lakaien in großer Livree (Bekleidung der Dienerschaft)«, wie Casanova erzählt, der Padua vorsichtshalber unaufgefordert ebenfalls verlassen hatte, aber unbehelligt zurückkehren konnte.
Auch in Venedig verhielt sich Croce laut dem Bericht seines Freundes alles andere als unauffällig. »Er machte ein großes Haus und hielt die Bank beim Faro (einem Glücksspiel), an der die Dummköpfe ihre Börsen leerten.« Schließlich habe man den Abenteurer auch aus der Lagunenstadt gewiesen, allerdings nicht wegen der Falschspielerei, sondern wegen einer gleichgeschlechtlichen Affäre mit dem venezianischen Patrizier Antonio Gritti. Zur Abreise gezwungen, ließ Croce seine angebliche Frau schwanger in Venedig sitzen, wo sie eine Tochter gebar, deren Taufpate Giacomo Casanova wurde. So berichtete es dieser – und so bestätigte es der österreichische Kulturhistoriker Gustav Gugitz (1874–1964) in seinem Werk »Giacomo Casanova und sein Lebensroman«, einem Klassiker der Casanova-Forschung. Ausgerechnet der gegenüber Casanova besonders kritische Gugitz beglaubigte die Erzählung des Venezianers und nannte sogar Datum und Ort der Taufe, die er Dokumenten in venezianischen Archiven entnommen hatte.
War Croce wirklich in Padua gewesen?
Wie die beiden Historiker Herrmann und Feroci Anfang Juni 2025 auf der Fachtagung »Casanova in Time 1725–2025« in Venedig berichteten, suchten sie vergeblich nach den betreffenden Quellen. Für ihre Forschungen durchforsteten sie nicht nur das Staatsarchiv von Venedig, sondern auch die Archive von Modena, Padua und Dresden. Keines der von Gugitz genannten Dokumente tauchte auf. »Es gibt keine Belege für die Anwesenheit Antonio Croces in Padua im Jahr 1753, auch nicht für seine Ausweisung von dort.« Für den daran anschließenden Aufenthalt in Venedig und die neuerliche Vertreibung fanden die Forscher ebenfalls keinen Nachweis.
Zwar existiere ein venezianischer Ausweisungsbescheid aus dem fraglichen Zeitraum, dieser galt jedoch einem Gaetano Croce, der als Vertreter eines Mailänder Handelshauses auftrat. »Natürlich könnte das Antonios zweiter Vorname sein oder ein Name, den er sich gegeben hatte, wie er es häufig tat«, sagt Herrmann. »Es kann sich aber ebenso gut um einen Gaetano Croce handeln, der nichts mit unserem Mann zu tun hat.« Die Forschenden fanden in den Archiven auch keine Hinweise auf die erwähnte Taufe oder die homosexuelle Affäre Croces. Zudem lägen die in Frage kommenden Jahrgänge der Taufbücher vollständig vor, so die Wissenschaftlerin. Sie enthielten jedoch keinen Eintrag für das angebliche Kind Croces.
Abgesehen von den dramaturgischen Straffungen seien die Memoiren weitgehend zuverlässig, Casanovas Angaben »zu 90 oder 95 Prozent korrekt«, so Herrmann. Was aber aus den Belegen wurde, auf die sich Gugitz bezog, ist unklar. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass ausgerechnet der Casanova-Biograf, der den Lebensbericht des Venezianers für wenig wahrheitsgetreu hielt, die Quellen schlicht erfunden hatte. Warum hätte er mit unlauteren Mitteln die Erzählung eines Mannes bestätigen sollen, dessen Glaubwürdigkeit er selbst grundsätzlich in Zweifel zog? Früher sei es üblich gewesen, dass Gelehrte auch mal ein Dokument aus dem Staatsarchiv mit nach Hause nahmen, erklärt Herrmann. Es sei daher denkbar, dass Gugitz' Quellen auf diesem Wege verloren gingen. »Möglicherweise aber hat er auf fehlerhafte Notizen eines anderen Forschers zurückgegriffen, oder sie waren zwar korrekt, aber er hat sie falsch abgeschrieben«, vermutet die Forscherin.
Casanova half seinem Freund aus der Patsche
Die anderen Episoden, die Casanova aus Croces Leben erzählte, ähneln einander auf frappierende Weise – und man wäre versucht, sie für erfunden zu halten, wäre nicht eine davon tatsächlich bestätigt. In beiden Fällen sah sich der Mailänder nach dem Verlust seiner gesamten Barschaft zur Abreise gezwungen, und jedes Mal ließ er eine junge Frau zurück, die er zuvor verführt und aus ihrem Elternhaus entführt hatte. Beide Male legte er deren weiteres Schicksal in die Hände Casanovas.
Dieser brachte die erste, deren Namen nicht überliefert ist, von Mailand nach Marseille und damit zurück in den Schoß der Familie. Die zweite, eine Charlotte Lamotte aus Brüssel, die Croce hochschwanger im belgischen Kurort Spa hatte sitzen lassen, nahm Casanova mit sich nach Paris, wo sie einen Sohn gebar – und im Kindbett starb. Das Kind findet sich in den Taufbüchern der Pfarrei Saint-Laurent in Paris. Es erhielt am 18. Oktober 1767 den Namen Charles Jacques, folgte aber wenige Tage später seiner Mutter in den Tod.
Herrmann und Feroci stießen nun in den venezianischen Archiven auf eine weitere Frau, mit der Croce möglicherweise sogar über einen längeren Zeitraum zusammenblieb und auch Kinder hatte. »Am 1. Juni 1766 heiratete ein Antonio Croce in der Kirche Santa Maria Maddalena in Venedig eine Francesca Bassanello«, so Herrmann. Außerdem fanden die Forschenden in den Taufregistern einer weiteren venezianischen Pfarrei Hinweise auf sechs Kinder dieses Paares, die zwischen 1776 und 1785 zur Welt kamen. »Wenn es sich bei dem Antonio Croce aus den Taufregistern tatsächlich um Casanovas Freund handelt, dann hätte er sich 1766 für einige Jahre in Venedig niedergelassen und in dieser Zeit ein halbwegs geregeltes Leben geführt.«
Dafür spricht, dass Croce, nachdem er Spa Casanova zufolge zu Fuß, »ohne Mantel, ohne auch nur ein Hemd in der Tasche zu haben, in seidenen Strümpfen und mit einem Stock in der Hand« verlassen hatte, nicht mehr in den Memoiren auftritt, die beiden Männer einander also einige Jahre lang nicht mehr begegneten. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Abenteurer sich tatsächlich für einige Zeit niederließ oder zumindest nicht mehr ständig auf Reisen war. Dagegen spricht jedoch, dass Croce vom Kurort im Spätsommer 1767 fortgegangen war. Er hätte demnach innerhalb eines guten Jahres, nachdem er in Venedig eine Frau geheiratet hatte, eine zweite aus Brüssel verführt, geschwängert und verlassen. An der nötigen Kaltschnäuzigkeit dürfte es ihm nicht gefehlt haben, dennoch wäre das ein atemberaubendes Tempo. »Das ist durchaus möglich«, vermutet Sabine Herrmann. »Vielleicht hat er sein Wanderleben gleich nach der Heirat wieder aufgenommen.«
Was nur fanden die Frauen an Croce?
Casanova konnte sich Croces anhaltenden Erfolg bei Frauen nicht erklären. »Er war weder schön noch gebildet, er beherrschte weder den Ton der guten Gesellschaft noch war er verführerisch«, heißt es in den Memoiren. »Und so sah ich an ihm nichts, was wohlerzogene Mädchen veranlassen konnte, um seinetwillen das Elternhaus zu verlassen.« Folgt man den Briefen, die Casanovas Nichte Teresa ihm aus Dresden schrieb, dann besaß Croce auch als »liebenswürdiger alter Herr« jedoch noch einigen Charme. »Ich habe das Vergnügen, jeden Tag Don Antonio bei mir zu sehen«, schrieb im Mai 1796 die 27-jährige Tochter von Giacomos jüngerem Bruder Giovanni Battista (1730–1795), einem Maler und Direktor der Dresdner Kunstakademie. »Er ist ein reizender Mann, und ich ziehe ihn und seine liebenswürdige Unterhaltung der vieler junger Leute vor, denn er besitzt den ganzen Frohsinn und Charme der Jugend in Verbindung mit einem reifen Geist und einer seinem Alter entsprechenden Vernunft.«
Anfang der 1790er Jahre hatte sich Croce in Dresden niedergelassen. Wann genau und woher er kam, ist unbekannt. Ebenso wenig weiß man, wovon er dort lebte oder auch nur wie viele Jahre noch. »Unsere Suche in den Totenbüchern von Dresden, Leipzig, Warschau und Teplitz blieb ohne Ergebnis«, berichtet Herrmann. In keiner der Städte, in denen Croce sich in fortgeschrittenem Alter nachweislich mindestens einmal aufhielt, fand sich ein Hinweis auf seinen Tod.
Immerhin gibt es eindeutige Anhaltspunkte dafür, wann er noch am Leben war und sich in der sächsischen Residenzstadt aufhielt. »Casanova notierte Anfang April 1797 vor einer geplanten Reise nach Dresden, was er dorthin mitnehmen wollte und was er dort zu tun beabsichtigte«, so Herrmann. »Auf dieser Liste ist auch Croce vermerkt, den er besuchen wollte und der zu diesem Zeitpunkt offenbar noch am Leben war« – und das vermutlich auch noch im Sommer und Herbst desselben Jahres. Darauf lassen Briefe schließen, die von Carlo Angiolini, einem angeheirateten Neffen Casanovas, diesem aus Dresden sandte. »Angiolinis Schreiben legen den Schluss nahe, dass sich der Abenteurer (Croce) auch im Alter noch mit Betrügereien durchschlug«, sagt Herrmann. Er berichtete von Schulden, die Croce nicht begleichen wollte oder konnte, und erwähnte eine polnische Dame namens Stanckiewitz, die möglicherweise seine Komplizin war.
Es sind die letzten Hinweise auf den Verbleib Antonio Croces. Danach verliert sich seine Spur endgültig.
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