Storks Spezialfutter: Ein Huhn, das peinliche Fragen stellt

In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Neulich habe ich mir vier Hühner nach Hause geholt. Genauer gesagt habe ich sie mir in einem weißen Lieferwagen kommen lassen mit Stall, Futter und Zaun – alles gemietet für zwei Wochen. Warum? Einfache Antwort: Weil ich eine Geschichte über Tiere zum Mieten recherchiert habe und herausfinden wollte, ob unser Berliner Mehrfamilienhausgarten für Hühnerhaltung geeignet wäre.
Dergestalt sind nun unsere Beziehungen zu den Tieren. Weil ich es so wollte und weil ich dafür bezahlt habe, fängt jemand auf dem Bauernhof die Hühner ein, steckt sie in eine Transportkiste und bringt sie zu mir. Wir machen mit Tieren, was wir wollen – weil wir es können. Dieses Verhältnis von Macht und Ohnmacht bleibt auch dann bestehen, wenn wir es den Tieren richtig gut gehen lassen. Jedes Haustier bleibt immer abhängig von Gunst und Gnade seines Herrchens.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der Bauer, von dem ich die Hühner hatte, ist ein sehr verantwortungsbewusster Mensch, der seine Begeisterung für Hühner gern mit anderen teilen möchte. Die Tiere waren in einem hervorragenden Zustand, zeigten von Anfang an keine Scheu oder Anzeichen von Stress und gingen sehr pfleglich miteinander um. Und bei uns im Garten ging es ihnen mit Sicherheit besser als noch den allermeisten Biohühnern. Sie hatten nicht nur Grashalme, an denen sie zupfen konnten, sondern auch ein paar Bäume, unter denen sie nach Insekten scharrten, und offene Bodenstellen zum Sand- und Sonnenbaden.
Erkenntnisse als Kurzzeit-Hühnerhalter
Das war die eine, beinah schon erschütternde Erkenntnis, die ich aus meinen zwei Wochen als Hühnerhalter mitgenommen habe: Mit welcher Wonne sich die Vögel auf das Grün, das Laub und die Insekten in unserem mit einem Zaun abgesteckten Gartenteil stürzten. Wie entspannt sie wirkten, wenn sie unter einem Busch dösten und wie genussvoll sie sich beim Sandbaden Sand über die Federn schüttelten. Die Hühner – so schien mir – waren glücklich, weil sie alles hatten, was sie zum Leben brauchten.
Im Umkehrschluss muss deshalb der Großteil der Hühner, die in der gewerbsmäßigen Produktion stecken, kreuzunglücklich sein. Zwei Drittel aller Legehennen leben aktuell in Bodenhaltung. Das heißt, mehrere tausend Tiere in einer riesigen Halle mit etwas Stroh auf dem Betonboden. Neun Hühner auf einem Quadratmeter. Kein Gras, keine Insekten, keine Ruhe. Den Himmel sehen sie nur einmal im Leben – wenn es zum Schlachter geht. Die Bedingungen für Freiland- und Biolegehennen sind bedeutend besser: Die Tiere können nach draußen, wenn sie wollen. Gruppengrößen von bis zu 6000 beziehungsweise 3000 Hühnern sorgen aber trotzdem für Stress zwischen den Tieren.
Eine weitere Erkenntnis meines Hühnerexperiments: Die Produktion von Eiern ist extrem aufwändig. In einem Kuchen- oder Waffelteig verschwinden ja gern mal bis zu sechs Eier. Bei meinen vier Hühnern im Garten war das der Ertrag von etwa zwei Tagen. Dafür werden jede Menge Ressourcen eingesetzt. Da ist zum einen die Kraftanstrengung für die Hennen. In der kommerziellen Eierproduktion werden sie deswegen nach anderthalb Jahren ausgemustert, sprich geschlachtet, weil sie immer weniger legen. Da ist aber vor allem die Fläche, die die glücklichen Hühner in Anspruch nehmen und verbrauchen. Nach einer Woche sah der Teil des Gartens, in dem sie untergebracht waren, schon ziemlich ramponiert aus: Der Rasen war kurzgefressen und der Boden unter den Bäumen frei gescharrt. Im abgesteckten Auslauf prangten zudem gleich mehrere offene Stellen, die sich die Tiere zum Sandbaden geschaffen hatten. Wären sie länger geblieben, hätte sich der Rasen früher oder später in blanken Boden verwandelt. Auch so kann man dauerhaft Hühner halten. Aber der Vision vom quasinatürlichen Hühnerleben entspricht das dann nicht mehr so richtig, erst recht nicht, wenn das Gehege nach und nach noch weiter degradiert.
Die wichtigste Erkenntnis, die ich meinen Miethühnern verdanke: Nur wenn man es mit konkreten, sichtbaren Tiere zu tun bekommt, beginnt die echte Auseinandersetzung, auch mit einigen moralischen Fragen: Darf ich das, Tiere zu meinem Vergnügen halten? Ist es vertretbar, so über Tiere zu bestimmen? Wäre es mir den Aufwand wert, sie in einer eierlosen Alters-WG ihr Leben zu Ende leben lassen? Oder würde ich sie schlachten (lassen), wenn sie nicht mehr legen?
Mit Würstchen im Schweinestall
Neulich war ich auf einem Bauernhof mit Direktvermarktung, der auch Mastschweine hält. Mehrere Schilder wiesen zum Stall mit der Einladung, sich die Haltungsbedingungen genau anzuschauen: Der Stall war auf einer Seite offen, Frischluft konnte zirkulieren und die Tiere sahen echten Himmel und echte Bäume. Es gab einen kleinen Wellnessbereich mit Sand, den die Schweine in wechselnden Schichten nutzen können. Sie hatten wesentlich mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben, ein bisschen Spielzeug gab es auch.
Eine Wiese mit Bäumen und echter Suhle war das aber nicht, sondern nach wie vor ein Stall mit Betonboden. Das Schweineparadies stelle ich mir dann doch noch anders vor. Aber das ist ja auch eine Erkenntnis: Selbst bei Haltungsformen, die alle Normen übererfüllen und halbwegs glückliche Leben ermöglichen, steht die Produktion im Mittelpunkt und am Ende unerbittlich der Tod der Tiere. Während ich in der einen Hand ein Paket frisch gekaufte Schweine-Bratwürste hielt, hatte ich die andere in den Stall gestreckt, um ein Schwein mit seiner Rüsselnase daran schnuppern zu lassen. Ein bisschen komisch war diese Gleichzeitigkeit von Leben und genommenem Leben schon, weshalb ich die vakuumierten Leichenteile der ehemaligen Stallgenossen in der Hand lieber etwas versteckt hielt.
Dass im Supermarkt so eine Auseinandersetzung wegen der schieren Masse an Fleisch und den vielen Paletten mit Eiern kaum möglich ist, zeigt, dass wahrscheinlich etwas Grundlegendes am System und unseren Beziehungen zu den Tieren nicht stimmt. Würden wir vor jedem Kauf von Fleisch oder anderen tierischen Produkten die direkte oder wenigsten gedankliche Begegnung mit dem Tier und unserm Verhältnis zu ihm suchen, gäbe es vermutlich bald deutlich mehr Veganerinnen und Vegetarier, und die Fleischesser würden ihren Fleischkonsum reduzieren.
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