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Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf: Schlaftracker können Schlafstörungen verschlimmern

Präzise Daten von Schlaftrackern können zwar Schlafstörungen behandeln helfen. Sie haben aber auch das Potenzial, das Problem zu verschlimmern – oder gar erst entstehen zu lassen.
Ein Mann mit einer Smartwatch am Handgelenk liegt im Bett und tut so, als würde er schlafen.
Eine Smartwatch kann den Schlaf heutzutage präzise überwachen. Das kann hilfreich sein – oder aber zum Problem werden.

Der Blick auf den Schlaftracker verheißt nichts Gutes: Ein Schlafqualität-Score unter 70, so scheint der Tag kaum zu schaffen. Solche Geräte, die Schlafdauer und -qualität aufzeichnen, sollen den Schlaf sicht- und planbar machen. Gerade bei hohem Leidensdruck erscheinen sie wie eine Investition in zurückgewonnene Kontrolle. Den weltweiten Markt für Schlaftracker schätzt das private Forschungsinstitut Grand View Research in den Jahren 2024 und 2025 auf 27 bis 30 Milliarden Euro – bei steigender Tendenz. Doch helfen die Geräte wirklich gegen Schlafprobleme?

Derartige Wearables, die automatisch alle Körperfunktionen protokollieren, sind im Freizeitsport normal geworden. Menschen optimieren Messwerte wie ihre maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max), zählen Schritte und Aktivitätsminuten und freuen sich über ihr sinkendes biologisches Alter. Doch Schlafdaten funktionieren anders. Sie lassen sich durch Verhalten zwar indirekt beeinflussen, nicht aber kontrollieren. Und der Versuch der Kontrolle kann sogar dazu führen, dass die Schlafqualität sinkt.

Orthosomnie: Das Streben nach dem perfekten Schlaf

Die klinische Psychologin Kelly Glazer Baron spricht dabei von Orthosomnie, dem Streben nach dem korrekten oder perfekten Schlaf. Und das kann paradoxerweise selbst zu Schlaflosigkeit führen: »Es gibt eine wachsende Zahl von Patienten, die wegen selbst diagnostizierter Schlafstörungen eine Behandlung suchen«, schreibt sie mit ihrem Forschungsteam im »Journal of Clinical Sleep Medicine«. Dies geschehe »etwa auf Grund vermeintlich zu kurzer Schlafdauer oder Schlaflosigkeit, die sie auf Phasen leichten oder unruhigen Schlafs zurückführen«, weil der Schlaftracker dies so aufgezeichnet habe.

Der Grund ist, dass plötzlich die Schlafdaten viel stärker als der tatsächliche Schlaf beeinflussen, wie Menschen sich fühlen. Dies beobachtete der Psychologe Dimitri Gavriloff, nachdem er mit seinem Forschungsteam Testpersonen gefälschte Schlafdaten rückmeldete. Die falschen Angaben bekamen sie morgens. Am Mittag und am Nachmittag fragten die Fachleute per App Daten zu Wohlbefinden und Müdigkeit ab. Am Abend führten die Probanden im Labor verschiedene Tests durch und beantworteten weitere Fragebögen. Wer schlechteren Schlaf zurückgemeldet bekommen hatte, zeigte dabei stärkere Symptome von Erschöpfung. Besser aussehende Schlafdaten standen in Verbindung mit guter Stimmung und geringerer Erschöpfung – unabhängig davon, wie die Testpersonen tatsächlich geschlafen hatten.

Schlaftracker liefern sehr gute Daten

Tatsächlich allerdings können die Geräte bei der Behandlung echter Schlafstörungen durchaus helfen. Denn moderne Schlaftracker, zum Beispiel das Whoop-Armband, liefern sehr genaue Daten, die in Validierungsstudien nur geringfügig von Daten aus dem Schlaflabor abweichen. Die Apple-Watch etwa ist gut darin, Schlaf zu erkennen, schwächelt aber bei der Unterscheidung von Schlafstadien.

In einer Studie mit Fitbit-Trackern und EEG-Messung an der Stirn erhielten Versuchspersonen zusätzlich eine Anleitung zur Interpretation der Daten – und die Teilnehmenden berichteten von einer Verbesserung ihrer Schlafstörung. Und wer einen Oura-Ring trug und über eine App ein Coaching zu Aktivität und Schlafverhalten bekam, verbesserte in einer Studie über ein Jahr seinen Schlaf ebenfalls.

Ob für das Lernen, die Laune oder die Gesundheit – guter Schlaf ist lebenswichtig. Doch leider klagen viele Menschen über Schlaflosigkeit oder Schlafprobleme. In der Kolumne »Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf« gehen wir regelmäßig auf Hintergründe zum Thema Schlaf ein und geben Tipps, wie Sie (wieder) besser ein- und durchschlafen.

Diese 2021 in der Fachzeitschrift »Frontiers in Physiology« erschienene Studie ist besonders spannend, weil sie uns nicht nur etwas über Geräte verrät, sondern vor allem über Verhalten. Die Teilnehmenden der Testgruppe in der Studie des Neurologen Jonathan Browne machten mehr Schritte, joggten länger, reduzierten ihren Körperfettanteil und wurden fitter, gemessen an der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) und der Herzratenvariabilität, also der Flexibilität des Herzens, auf Herausforderungen zu reagieren und danach wieder zur Ruhe zu kommen. Und das wiederum verbessert den Schlaf.

Eine gute Nacht lässt sich nicht kaufen

Bewegung und Gesundheit wirken auf den Schlaf, weil der Energieverbrauch müde macht. Die Einschlafzeit verkürzt sich, nächtliches Wachliegen wird unwahrscheinlicher. Doch auch, wenn die Schlaf- und Fitnesstracker Lifestyleprodukte sind: Einen aktiven Lebensstil können Sie nicht kaufen, guten Schlaf ebenso wenig.

Ein Schlaftracker kann Ihnen zwar Informationen liefern; er kann aber auch Ihre Wahrnehmung verfälschen. Vielleicht bewertet die App Ihren Schlaf als ungenügend – Sie brauchen aber gar nicht mehr Schlaf. Wenn Ihre Schlafdaten Sie beschäftigen: Nehmen Sie die Uhr sofort ab und legen Sie sie weg. Die Freiheit von der Messung kann genau die Entspannung ermöglichen, die Ihnen zum Einschlafen gefehlt hat.

Stecken Sie kein Geld in Tracker, stecken Sie Energie in Ihre Gesundheit: Spazieren, rennen, tanzen Sie, bewegen Sie sich! Das ist die Art von Investition, mit der Sie Ihren Schlaf wirklich beeinflussen.

  • Quellen
Baron, K. et al., Journal of Clinical Sleep Medicine 13, 2017, 10.5664/jcsm.6472 Browne, J. et al., Frontiers in Physiology 25, 2021, 10.3389/fphys.2021.777874

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