Ein Quantum Wahrheit: Alles halb so wild?

Haben Sie schon gehört: US-Präsident Trump hat ein Dekret erlassen, wonach Pkws mit weniger als zwei Litern Hubraum in den USA die Zulassung verlieren. Das soll die amerikanische Öl- und Autobranche ankurbeln. Außerdem soll der Umgang mit Schusswaffen Pflichtfach in der Highschool werden. Und die Gefängnisse entlassen Häftlinge, die wegen »geringfügiger Delikte« wie Veruntreuung oder häuslicher Gewalt einsitzen. Das spare Millionen Dollar Staatskosten, so Trump.
Glauben Sie nicht? Aber ganz sicher sind Sie sich nicht, oder? Angesichts der Fülle an Hiobsbotschaften von jenseits des Atlantiks traut man dem Trumpeltier im Weißen Haus schon fast alles zu. Immerhin hat er auch Gelder für Forschung und internationale Hilfe radikal gekürzt und mit dem Rest der Welt einen Handelskrieg vom Zaun gebrochen. (Anders als die drei Behauptungen oben stimmt das wirklich!)
Der ganz normale Irrsinn
Die Dichte der Unglaublichkeiten – von A wie Amtszeit bis Z wie Zölle – bringt viele hiesige Beobachter dazu, den Irrsinn für normal zu halten; man weiß gefühlt gar nicht, worüber man sich zuerst aufregen soll, also lässt man es ganz. Mancher wartet nur darauf, dass der nächste TV-Koch, der einmal nett zu Donald war, neuer Notenbankchef wird oder dass die Marines Grönland besetzen. Erlebt man aber zu oft, was einst undenkbar war, erscheinen selbst die Rauchzeichen der Katastrophe auf einmal: normal.
Aus genau diesem Feld, der Katastrophenforschung, stammt der Begriff »Normalitätsverzerrung« (englisch: normalcy bias). Gemeint ist eine kognitive Fehleinschätzung, die dazu führt, dass wir Risiken ausblenden, weil es ähnliche Fälle oder Anzeichen schon öfter gab und wir uns folglich daran gewöhnt haben. Das kann Menschen dazu verleiten, sich gar nicht oder zu spät außer Gefahr zu bringen. Oder zum Beispiel ihr Auto sehenden Auges in einen mit Regenfluten vollgelaufenen Tunnel zu steuern. Eng verwandt damit sind Wunschdenken (»wird schon nicht so schlimm sein«), die Vogel-Strauß-Taktik (Ausblenden des Unangenehmen) oder auch die stoische Neigung, sich nicht von jeder Horrornachricht anstecken zu lassen.
Ironischerweise dient der Hinweis auf solche Kurzsichtigkeit einigen allerdings auch dazu, Alarmismus zu verbreiten. Der nie totzukriegende Geist des Antiamerikanismus macht es möglich, dass Trumps haarsträubende Politik manchem schon als Wiedergänger des Faschismus erscheint – was sie mitnichten ist. Und prompt wird jedes Gerücht, das das zu bestätigen scheint, genüsslich aufgesogen.
Der Alarmist sieht überall nur Abwiegler, ja er braucht sie, um seinen Alarmismus zu rechtfertigen
Die Krux lautet: Man kann anderen eine »Normalisierung des Bösen« auch bloß unterstellen, um zu suggerieren, hier würden die Augen vor dem Untergang verschlossen. Der Alarmist sieht überall nur Abwiegler, ja er braucht sie, um seinen Alarmismus zu rechtfertigen.
Das Problem mit den großen und kleinen Übeln der Welt bleibt jedoch, dass man das Ende nie sicher vorhersehen kann. Die Apokalypse ist immer möglich, aber selten wahrscheinlich. Das Einzige, was da hilft, ist: die verfügbare Evidenz bemessen und einordnen. Sie ist mal sehr klein (»Morgen geht die Welt unter«) und mal groß (»Der Klimawandel bedroht viele Menschenleben«). Was wir brauchen, ist ein kühler Blick auf die besten verfügbaren Daten – kurz: Wissenschaft.
Sicher ist bei alldem nur eins: Hinterher ist man immer schlauer! Aber das ist bereits das Thema der nächsten Kolumne.
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