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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Die Mathematik des neuen rumänischen Präsidenten Nicușor Dan

Vom Satz des Pythagoras zur Arakelov-Geometrie: Nicușor Dan forschte an rationalen Lösungen von Gleichungen – heute sucht er sie in der Politik.
Eine Sammlung von abstrakten, weißen, organisch geformten Objekten, die auf einer ebenen Fläche verteilt sind. In der Mitte hebt sich ein einzelnes, grünes Objekt hervor, das sich durch seine geschwungene Form und zwei Öffnungen von den anderen unterscheidet. Die Anordnung der Objekte erzeugt ein Gefühl von Vielfalt und Individualität innerhalb einer homogenen Gruppe.
Die Geometrie von rationalen oder ganzen Zahlen zu ergründen, ist schwer. Mit solchen Problemen hat sich der neu gewählte rumänische Präsident Nicușor Dan beschäftigt.
Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen bis hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Im Jahr 1997 zogen meine Eltern mit meinem Bruder und mir nach Bukarest. Das war damals ein extremer Kulturschock. In meiner Schule, einem sehr großen grauen Hochhaus, wurde der Müll auf dem Schulhof verbrannt. Dadurch waren die Pausen stets von einer gelben, stinkenden Rauchsäule begleitet. Einige der Nachbarskinder, mit denen ich so gerne spielte, hatten in ihrem Haus keinen Wasseranschluss. Manchmal ging ich mit ihnen ans Ende der Straße, wo sie ihren Eimer an einer öffentlichen Zapfstelle füllten und wieder nach Hause trugen. Und natürlich haben sich die Straßenhunde in meine kindlichen Erinnerungen eingebrannt, die überall unterwegs waren – was mir damals natürlich sehr gefiel: noch mehr Spielgefährten!

Insgesamt haben meine Mutter, mein Bruder und ich nur ein knappes Jahr in Rumänien gewohnt, bevor wir wieder nach Deutschland zurückkehrten. Mein Vater blieb noch einige Jahre dort. In der Zwischenzeit hat sich sehr viel in dem Land getan. Besonders aufgehorcht habe ich nun Mitte Mai 2025, als ein neuer rumänischer Präsident gewählt wurde. Denn Nicușor Dan hat nicht wie viele andere Staatsoberhäupter Politikwissenschaft oder Jura studiert und er war auch nicht schon immer Berufspolitiker, sondern er kommt aus der Mathematik. Nicht nur hat er als Schüler zweimal Gold bei der Internationalen Mathematikolympiade geholt (und das mit voller Punktzahl), sondern hat auch aktiv geforscht und wissenschaftliche Beiträge in bedeutenden mathematischen Journalen veröffentlicht. Das hat mich neugierig gemacht: Womit beschäftigte sich der rumänische Präsident vor seinem drastischen Karrierewechsel?

Dan forschte in einem Bereich, der als Arakelov-Geometrie bekannt ist. Falls Sie mit dem Begriff nur wenig anfangen können, keine Angst – ich kannte ihn zuvor ebenso wenig. Ich werde auch nicht anfangen, auf die einzelnen Beiträge von Dan einzugehen, sondern möchte stattdessen einen Überblick über die Beweggründe geben, warum sich Menschen mit der Arakelov-Geometrie beschäftigen. Dafür müssen wir einige Jahrtausende in die Vergangenheit reisen.

Ganzzahlige Lösungen zählen

Überraschenderweise bauen viele Forschungsbereiche der modernen Mathematik auf Fragestellungen auf, die in der Antike oder im alten Mesopotamien ihren Anfang nahmen. Schon damals grübelten die Menschen darüber nach, wie sich ein rechtwinkliges Dreieck erzeugen lässt, dessen Seitenlängen allesamt ganzzahlige Werte haben. Da die drei Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks dem Satz des Pythagoras gehorchen, \(a^2 + b^2 = c^2,\) suchte man schon vor Tausenden von Jahren nach ganzzahligen Lösungen \(a, b, c\) dieser berühmten Gleichung.

Der Satz des Pythagoras | Besonders interessant ist die Gleichung, wenn man nach ganzzahligen Lösungen sucht.

Inzwischen ist klar: Es gibt unendlich viele ganze Zahlen, die den Satz des Pythagoras erfüllen. Aber wie sieht es mit anderen Gleichungen aus? Tatsächlich stellt sich diese Frage als notorisch kompliziert heraus. Der Grund dafür hat mit der fehlenden geometrischen Übereinstimmung zu tun.

Wenn ich Ihnen eine beliebige Polynomgleichung gebe, also so etwas wie \(3x + 5x^2 + 57 x^3 + … = y^2 ,\) dann können Sie beliebige Zahlenwerte für \(x\) einsetzen, um daraus \(y\) zu berechnen. Mit diesen Zahlenpaaren können Sie beispielsweise die zugehörige Kurve zeichnen, die alle reellen Lösungen dieser Gleichung vereint. Wenn Sie aber nur an den ganzzahligen oder gar rationalen (also Bruchzahlen) Lösungen interessiert sind, wird es kompliziert. Denn, selbst wenn Sie für \(x\) nur ganzzahlige oder rationale Werte einsetzen, ist nicht garantiert, dass \(y\) ebenfalls ganzzahlig beziehungsweise rational ist. (Da rationale Lösungen auch ganzzahlige umfassen, werde ich mich im Folgenden nur noch auf erstere beziehen.)

Nun könnte man sich natürlich fragen, warum rationale Lösungen für Mathematikerinnen und Mathematiker überhaupt interessant sind. Auf den ersten Blick scheint es doch viel nützlicher, alle reellen Lösungen berechnen zu können – und sich nicht nur auf eine viel kleinere Untermenge davon zu konzentrieren. Aber tatsächlich hängt die Frage nach rationalen Lösungen mit vielen wichtigen Problemen aus der Mathematik zusammen, unter anderem mit der Verteilung der Primzahlen. Und rationale Lösungen haben auch handfeste Anwendungen, etwa in der Kryptografie. So fußt beispielsweise der Algorithmus, der gerade sicherstellt, dass Ihre Privatsphäre beim Surfen durch das Internet gewahrt wird, auf rationalen Lösungen bestimmter Polynomgleichungen.

Ein Perspektivwechsel in der Mathematik

Trotz des großen Interesses und der langen Zeit, die sich Mathematikerinnen und Mathematiker auf der ganzen Welt mit dem Finden rationalen Lösungen beschäftigen, gibt es bis heute keinen allgemeinen systematischen Weg, um sie zu ermitteln.

Doch es gab immer mal wieder erstaunliche Erkenntnisse. So erkannte der indische Autodidakt Srinivasa Ramanujan im Jahr 1917, dass die Gleichung \(2^n – 7= y^2 \) eine ganzzahlige Lösung \(y\) hat, falls \(n= 3, 4, 5, 7\) oder 15 ist – sonst aber nicht. Beweisen konnte er dies nicht; es dauerte 31 Jahre, bis seine Vermutung bestätigt wurde. Dabei wurde etwas viel Überraschenderes gezeigt: Generell hat die Gleichung \(2^n – b = y^2\) für maximal zwei verschiedene Werte von \(n\) eine ganzzahlige Lösung – einzige Ausnahme ist der von Ramanujan betrachtete Fall \(b= 7\).

Mehr über die mathematischen Erkenntnisse von Srinivasa Ramanujan und sein beeindruckendes Leben erfahren Sie im Podcast »Geschichten aus der Mathematik«.

Solche Erkenntnisse an sich finde ich schon sehr spannend. Doch inzwischen hat sich die Forschungsrichtung der Mathematik etwas gewandelt. Anstatt über konkrete Gleichungen nachzudenken, wie jene, die Ramanujan untersucht hat, wollen Fachleute heute allgemeinere Ergebnisse erzielen. Sie möchten wissen, wie sich generell Gleichungen eines gewissen Typs in der Regel verhalten. Sprich: Wenn die Gleichung \(2^n – b = y^2\) in der Regel für höchstens zwei verschiedene Werte von \(n\) ganzzahlige Lösungen haben kann; bedeutet das dann, dass es meist wirklich diese zwei verschiedenen \(n\) gibt? Oder haben die meisten Gleichungen dieser Art nur für ein bestimmtes \(n\) eine ganzzahlige Lösung? Oder gibt es in den allermeisten Fällen gar keine ganzzahlige Lösung?

Um solche verallgemeinerten Fragen zu beantworten, muss man das Problem abstrahieren. Das hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite lassen sich so viel allgemeinere Aussagen treffen, auf der anderen hat man aber keine konkreten Ergebnisse mehr. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass \(2^n – b = y^2\) in den allermeisten Fällen keine ganzzahligen Lösungen besitzt, hilft mir das nicht weiter, wenn ich die ganzzahligen Lösungen von \(2^n – 17 = y^2\) konkret berechnen möchte.

Abstraktion mit Vor- und Nachteilen

Durch den Wechsel zu verallgemeinerten Fragen haben sich neue mathematische Werkzeuge aufgetan, welche die Fachwelt nach jahrhundertelangem Stillstand in dem Bereich endlich voranbringen. Unter anderem ist es nun möglich, anhand geometrischer Eigenschaften die Anzahl rationaler Lösungen von Polynomgleichungen zu ermitteln. Zu diesen Fortschritten hat unter anderem die Arakelov-Geometrie geführt.

Um das zu verstehen, hilft es, sich mit Polynomgleichungen der Art \(3x + 5x^2 + 57 x^3 + … = y^2 \) zu beschäftigen, die als hyperelliptische Gleichungen bekannt sind. Wenn man für \(x\) und \(y\) reelle Zahlen einsetzt, ergeben sich Kurven, die man mit Hilfe von Geometrie und Analysis untersuchen kann. Diese beiden Fachgebiete sind zwar hilfreich, wenn es um reelle Zahlen geht, führen aber bei Fragen rund um rationale Lösungen zunächst nicht weiter. Doch wie sich herausstellt, lässt sich einiges über rationale Lösungen erfahren, wenn man für \(x\) und \(y\) auch imaginäre Zahlenwerte zulässt, also Wurzeln aus negativen Zahlen.

Komplexe Ebene | Erweitert man die reellen Zahlen um Wurzeln aus negativen Zahlen, so genannten imaginären Werten, erhält man komplexe Zahlen. Diese lassen sich besonders gut in einer Ebene darstellen.

Indem man reelle Zahlen und imaginäre Werte verbindet, erhält man so genannte komplexe Zahlen \(a + ib\), wobei \(a\) und \(b\) jeweils reelle Werte sind und i die Wurzel aus minus eins ist. Das mag zwar kompliziert anmuten, aber solche komplexen Zahlen lassen sich wie Punkte in einer Ebene verstehen: \(a\) entspricht dann der x-Koordinate und \(b\) der y-Koordinate.

Tripel-Torus | Wenn man Polynomgleichungen nicht nur für reelle, sondern auch für komplexe Zahlen auswertet, ergeben sich Oberflächen. Das Bild zeigt ein Beispiel für eine solche Fläche mit drei Löchern.

Wenn man nun komplexe Werte in eine Polynomgleichung einsetzt, erhält man als Ergebnis keine Kurve mehr, sondern eine Oberfläche. Und wenn man die Eigenschaften dieser Oberflächen untersucht, lässt sich etwas über deren rationale Lösungen herausfinden. Das konnte der Mathematiker Gerd Faltings im Jahr 1983 mit Hilfe der Arakelov-Geometrie beweisen. Demnach gilt:

  1. Falls die Oberfläche kein Loch besitzt, dann hat die zugehörige Gleichung entweder keine oder unendlich viele rationale Lösungen. Das ist sehr hilfreich zu wissen – hat man beispielsweise eine rationale Lösung gefunden, dann weiß man, dass es unendlich viele weitere gibt.
  2. Falls die Oberfläche ein Loch besitzt, dann hat die zugehörige Gleichung entweder endlich viele oder unendlich viele rationale Lösungen. Diese Aussage ist nicht besonders hilfreich, man weiß nur, dass es auf jeden Fall mindestens eine rationale Lösung gibt.
  3. Falls die Oberfläche mehr als ein Loch hat, dann hat die zugehörige Gleichung endlich viele rationale Lösungen.

Damit gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen den geometrischen Eigenschaften der Gleichungen und ihren rationalen Lösungen. Inzwischen versuchen Fachleute die drei Aussagen weiter zu konkretisieren. Lässt sich zum Beispiel im zweiten Fall, also für Oberflächen mit einem Loch, genauer bestimmen, wie viele rationale Lösungen es gibt? Zum Beispiel, wenn man einen bestimmten Typ von Kurve betrachtet? Mit solchen und anderen Fragen hat sich der neu gewählte Präsident Rumäniens beschäftigt, bevor er sich voll und ganz der Politik verschrieb.

Auslöser für den Karrierewechsel war wohl das Vorhaben der Stadt Bukarest, zwei historische Gebäude abzureißen, um dort weitere Hochhäuser zu errichten. Daraufhin gründete Dan eine Initiative, die sich für den Erhalt kultureller Stätten und Grünflächen in der Stadt einsetzte. Schon früh in seiner politischen Karriere sagte er zudem der grassierenden Korruption – von der mein Vater, der lange in Rumänien lebte, viele Geschichten auf Lager hat – den Kampf an. Bleibt nur zu hoffen, dass Dans politisches Handeln künftig auch von solch vorbildlichen Vorhaben geprägt ist.

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